«Niemand wird zum Singen genötigt»

«Niemand wird zum Singen genötigt»

Major Björn Marti
Major Björn Marti
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Björn Marti, der neue Korpsoffizier Heilsarmee Biel, hatte bis zum Weihnachtstag ein dichtes Programm zu bewältigen.

Die Uniformen und die musikalischen Darbietungen sind das Markenzeichen der Heilsarmee. Björn Marti, der neue Vorsteher der Heilsarmee Biel, hat bis zum Weihnachtstag ein dichtes Programm zu bewältigen. Die musikalischen Auftritte sind nicht erst seit dem Auftritt der Heilsarmee am European Song Contest (ESC) von 2013 das Markenzeichen der uniformierten Freikirche.

Es hat etwas Magisches: Kaum legen die Sängerinnen und Sänger der Heilsarmee los, klingelt die Kasse. Hier ein paar Münzen, da eine Note. Björn Marti bestätigt: «Wenn wir singen oder musizieren, läuft die Topfkollekte sofort viel besser.» Marti ist seit dem Sommer Korpsoffizier der Heilsarmee Biel. Als solcher betreut er, analog zu einem Pastor oder Seelsorger, die Gemeinde.

In jeder Stadt sind sie seit Jahrzehnten zur Vorweihnachtszeit anzutreffen, mal als reine Gesangsgruppe, mal als Bläsercombo. Auch Björn Marti ist dabei. Er rechnet: «An fünf Tagen sind unsere Leute bis zu fünfmal täglich unterwegs, das macht rund 30 Stunden Musik.» Das Gesangsbuch der Heilsarmee beinhaltet die bekannten Weihnachtslieder auf Deutsch und Französisch wie «Oh du fröhliche» oder «II dort dans la creche», internationale Gassenhauer wie «Feliz Navidad» oder «Go, teil it on the Mountain» und natürlich den ESC-Hit «You and me». Die wohl stärkste Wirkung auf das Publikum habe das Lied «Stille Nacht» - da bemerkt Marti ab und zu feuchte Augenwinkel im Publikum.

Eines seiner liebsten Lieder ist «Ich steh an deiner Krippen hier». Die Musik dazu stammt von Johann Sebastian Bach, es sei deshalb «nicht ganz einfach zu singen». «Zum Singen genötigt wird in der Heilsarmee niemand», betont Marti. Man könne sich auch an der Topfkollekte nützlich machen. Was, wenn jemand unbedingt mitsingen möchte, der Mühe hat, den richtigen Ton zu treffen? «Da müsste man sehr diplomatisch sein», sagt Björn Marti.

Provokative Werbung
Nicht gerade als diplomatisch, sondern eher als humoristisch bis provokativ tritt die Heilsarmee derzeit in der Werbung auf. Film eins: Ein Obdachloser versucht, sich an einem Feuer zu wärmen. Neben ihm steht ein musizierender Heilsarmist, dessen Elan den Obdachlosen nicht zu begeistern vermag. Als der Musikant jedoch die Gitarre ins Feuer legt, strahlt der Obdachlose über die erhaltene Wärme. Film zwei: Ein Obdachloser sitzt am Heilsarmee-Weihnachtsessen vor seinem vollen Teller.

Ein Heilsarmist setzt sich neben ihn und beginnt zu essen. Als er die Blicke des Obdachlosen spürt, nimmt er sein oberes Gebiss aus dem Mund und reicht es dem Nachbarn, der nun mit Wonne zuschlägt. Im Internet generieren die beiden Werbespots viele Kommentare, sowohl positive als auch angeekelte. «Als gelernter Krankenpfleger macht mir der Spot mit dem Gebiss nichts aus», sagt Björn Marti. Er empfindet die Werbung als gut und provokativ.

«Es geht darum, die Bedürfnisse zu sehen und niemandem etwas aufzudrücken.» In Biel sind aber bislang weder Gitarren verbrannt noch Gebisse getauscht worden: Letzten Sonntag wurde eine Weihnachtsfeier für 160 Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, veranstaltet. Hierfür und auch zur Unterstützung der Sozialberatung werde in Biel gesammelt heute Samstag ein letztes Mal im Centre Brügg, im Centre Bahnhof, auf dem Zentralplatz, vor dem Loeb und auf dem Guisanplatz. Einsatz im Care-Team Björn Marti ist nicht zufällig zur Heilsarmee gekommen, sondern hat deren Werte immer schon vorgelebt bekommen: Beide Eltern waren Offiziere. Er ist in Zürich und Oslo aufgewachsen - in Norwegen verbrachte er insgesamt neun Jahre seiner Kindheit.

Nach seiner Lehre zum Krankenpfleger machte er die heilsarmeeinterne Offiziersausbildung, was zwei Jahre Vollzeit-Internatsbetrieb mit anschliessender berufsbegleitender Ausbildung für ihn bedeutete. Bevor er nach Biel kam, arbeitete er elf Jahre in Reinach (AG). Der Wechsel von der Agglomeration in die Stadt habe ihm nichts ausgemacht: «Meine Frau und ich haben gemerkt, dass wir Stadtmenschen sind.» Biel sei eine spannende Stadt. Reinach weise mit 40 Prozent einen rund zehn Prozent höheren Ausländeranteil auf als Biel, die Ghettoisierung sei dort stark wahrnehmbar.

«In Biel dagegen ist alles bunt durchmischt.» Der Vater dreier Kinder betreibt zwei «aussergewöhnliche Hobbies». Zum einen steht er Glasperlen her, aus denen er Schmuck kreiert. Ursprünglich sei das als gemeinsame Freizeitbeschäftigung für sich und seine Frau vorgesehen gewesen, doch bloss er habe letztlich Gefallen daran gefunden. Zum anderen ist Björn Marti Mitglied des Care-Teams des Kantons Bern.

Als solcher steht er Menschen, die etwas Schlimmes oder Traumatisches erleben mussten, bei. Bedient er sich da beim Repertoire eines Pastors? «Keinesfalls, das wäre übergriffig», sagt er. Er trenne die beiden Rollen sehr klar. Träfe er dabei aber auf ein Mitglied seiner Gemeinde, was im Aargau auch schon vorgekommen sei, so würde er sicher anbieten, gemeinsam zu beten. «Danach wird gechillt» Über seine eigentliche Arbeit sagt Marti: «Ich hebe sowohl Trauungen als auch Beerdigungen.

Damit kann ich den Leuten sehr dienen.» In seinem Verständnis steht die Heilsarmee für eine Kirche, die versucht, den Glauben ganzheitlich zu leben (siehe Zweittext). Jesus sei nicht umsonst in einem stinkenden Stall statt in einem Palast zur Welt gekommen, und die Engel hätten die frohe Botschaft Hirten und nicht Königen verkündet. «Jesus ist vor allem für diejenigen da, denen es dreckig geht», sagt Marti. Aus diesem Grund hat eine Delegation der Heilsarmee diese Woche das Bieler Untersuchungsgefängnis besucht.

Am 24. Dezember fand im Passantenheim eine Feier statt - für alle, die sonst nirgends feiern können oder wollen. Auch Martis Familie nimmt meist daran teil, ehe es am Abend zuhause die Bescherung gibt. Auch am Weihnachtstag hatte Björn Marti einen Einsatz, und zwar bereits um 7.30 Uhr, im Spitalzentrum, wo die Heilsarmee sang. «Danach wird gechillt», sagt Marti lachend. Nach Weihnachten hat er eine Woche frei, ehe ab dem 30. Dezember seine erste Pikett-Woche im Care Team des Kantons Bern ansteht.

Das sagt Björn Marti über die Heilsarmee
Die Heilsarmee entstand wie die meisten Freikirchen aus der reformierten Denkweise, sagt Björn Marti, Korpsoffizier der Heilsarmee Biel. Im Gegensatz zum Katholizismus kenne seine Kirche keine Heiligenverehrung: «Wir glauben, dass eine direkte Beziehung mit Gott möglich ist.» Gegründet worden ist die Kirche vom methodistischen Pfarrer William Booth aus London. Dieser habe ein grosses Herz für die Menschen am Rande der Gesellschaft gehabt. Als Booth Withby besuchte, hängte der dortige Pastor ein Plakat mit dem Slogan «War (also Krieg) in Withby! General Booth inspiziert seine Truppen» auf, um für die Versammlung zu werben. Daraus entstand die Idee der «Salvation Army», also der Heilsarmee, wodurch auch die Struktur des Militärs übernommen wurde. «Die militärische Ausrichtung sorgte dafür, dass sich die Bewegung weltweit explosionsartig ausbreitete», sagt Marti.

Die Heilsarmee ist bis heute militärisch organisiert - es gibt militärische Ränge und Uniformen. «Das ist heute ein Markenzeichen, das man nicht leichtfertig aufgibt», so Marti. Die Struktur sei aber deutlich aufgelockert worden, so seien innerhalb der Heilsarmee fast alle per Du. Heilsarmeeoffiziere sind einem Versetzungssystem unterstellt, ähnlich wie Botschafter. Auf Familien werde aber Rücksicht genommen.

Früher musste sich die Heilsarmee dem Vorwurf stellen, eine Sekte zu sein. «Sekten haben Sonderlehren und den Anspruch der Ausschliesslichkeit, wir nicht», sagt Marti dazu. Von ihren Mitgliedern verlangt die Heilsarmee keinen fixen Betrag. Sie kennt aber wie andere Freikirchen das Prinzip des «freiwilligen Zehnten», sprich die Abgabe eines Zehntels des Lohns, ab.

Die Heilsarmee Biel
Die Gemeinde der Heilsarmee Biel umfasst rund 120 Mitglieder, gegen 60 besuchen sonntags den Gottesdienst. • Die Heilsarmee führt in Biel den Brocki an der Längfeldstrasse 29, das Passantenheim an der Jakobstrasse 58, die Sozialberatung an der Dufourstrasse 65 sowie das Bildungszentrum an der Zürichstrasse 23c.

Autor
Quelle: Bieler Tagblatt (23.12.2017)

Publiziert am
27.12.2017