«Das Christsein lebt man da, wo man sich aufhält»

«Das Christsein lebt man da, wo man sich aufhält»

Majore Johannes und Anita Breiter.
Majore Johannes und Anita Breiter.
© Achim Günter / Limitierte Rechte

Interview mit Johannes und Anita Breiter, Korpsoffiziere der Heilsarmee Huttwil und Dagmersellen.

Die Heilsarmee ist mir vor allem ein Begriff von den Brockenstuben oder von den kleinen Chören her, die man gerade in der Adventszeit oft in Städten antrifft. Aber es wird der Institution ja kaum gerecht, wenn man sie darauf reduziert.
Anita Breiter: Genau. Die Heilsarmee ist Hilfswerk und Kirche in einem. Sie betreibt in der Schweiz hauptsächlich in den Städten 36 soziale Einrichtungen und Beratungsstellen, und es gibt 56 lokale Gemeinden. In der Heilsarmee Schweiz arbeiten insgesamt 1985 Angestellte. Im Kanton Bern zum Beispiel haben wir auch einen Leistungsauftrag in der Flüchtlingsarbeit.

Die Heilsarmee braucht es also auch heute noch? 
AB: Ja, es braucht sie noch... Einerseits, um das Evangelium zu verkünden – auch wenn viele Leute das vielleicht nicht für nötig halten. Wir finden schon, dass die Frohe Botschaft weitergegeben werden soll. Andererseits, weil viele soziale Dienste ohne Hilfswerke schlicht nicht gemacht würden. 

Wie haben Sie zur Heilsarmee gefunden? 
Johannes Breiter: Meine Grosseltern und Eltern beiderseits waren bereits Heilsarmeeoffiziere. Ich bin da reingewachsen. Als Kind wollte ich das zwar nicht werden, doch dann hat mich Gott dazu berufen. Ich war gehorsam und wurde Offizier. Ich habe Gott gefragt: «Was willst du aus meinem Leben machen? Was ist der Sinn, der Zweck meines Lebens?» Als Antwort erhielt ich, in der Heilsarmee zu dienen. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon verheiratet. AB: Wir gingen erst mit Mitte 20 in die Ausbildung und hatten damals bereits zwei Kinder. Ich selber bin nicht wirklich christlich aufgewachsen. Theoretisch war ich reformiert, praktisch aber nicht religiös. 

In den letzten Jahren trat die Heilsarmee im Oberwiggertal sporadisch an wechselnden Orten in Erscheinung. Seit August verfügen Sie in Dagmersellen über ein eigenes Lokal. Ein Meilenstein für Sie? 
AB: Das ist so. Hier fühlen wir uns jetzt zuhause. Zuvor sind wir ein wenig «herumzigeunert». Jetzt verfügen wir über eine «Home-Base». Sie ist zwar nicht allzu wichtig, denn das Christsein lebt man da, wo man sich aufhält – bei der Arbeit, zuhause, an seinem Wohnort. Aber um sich zu treffen und Gott zu feiern, ist sie ein geeignetes Lokal. 

Und da halten Sie nun alle zwei Wochen einen Gottesdienst ab. 
AB: Ja. Und auch Gebetsabende und unsere Bandprobe finden hier statt. 
JB: Daneben gibt es auch Kleingruppen, in denen man sich übers Christsein, übers Alltagsleben austauscht, wo man das Leben miteinander teilt. Leidet jemand Not, teilt man die und hilft sich gegenseitig. Sehr viele Leute in der Heilsarmee leben freiwillig die Nächstenliebe. 

Wie unterscheidet sich ein Gottesdienst der Heilsarmee von einem katholischen oder einem evangelischen? 
AB: Liturgien gibt es nicht, wir sind sehr frei. Und die Lobpreismusik kommt ohne Orgel aus, dafür mit Verstärker. Es gibt auch Interaktivität. Das Ganze läuft weniger programmiert ab, mit mehr Freiraum. 
JB: Die Musik ist eher modern. Die Leute können mitsingen, es hat auch Mundart-Lieder dabei. Es ist sehr lebensnah. Aber wir pflegen gute Kontakte mit Pfarrpersonen der Landeskirchen und auch mit anderen Freikirchen. Uns ist wichtig, dass wir uns als Ergänzung sehen, nicht als Konkurrenz. Wir könnten uns zum Beispiel auch mal ökumenische Gottesdienste vorstellen. Oder gemeinsame Päckliaktionen. 

Bald ist Weihnachten. Mit welchen Gedanken sehen Sie dem Fest entgegen? 
AB: Einen Heilsarmee-Einsatz haben wir über die Festtage nicht. Wir waren am letzten Samstag in Basel im Einsatz, um beim Singen Geld zu sammeln für unsere sozialen Institutionen. Ich freue mich, dass wir Weihnachten feiern dürfen. Inhaltlich stehe ich dem Fest jedoch ambivalent gegenüber. Wenn ich sehe, wie viel Werbung mich in diesen Tagen erreicht, dünkt mich das fast ein wenig armselig. Weihnachten ist Kommerz, Oberflächlichkeit, Unterhaltung. Heute ist es mehr Märchen. 
JB: Der eigentliche Inhalt ist verloren gegangen. Den möchten wir aber hervorheben: Was Jesus für uns gemacht hat – nicht nur als Kindchen, sondern, dass er für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist – , das ist für uns der eigentliche Inhalt. 
AB: Thema von Weihnachten ist ja, dass Gott zu uns auf die Erde gekommen ist, sich uns Menschen gleichgestellt hat. Das ist etwas Gewaltiges! Viele Leute sagen zwar, sie glaubten an Gott, aber er darf dann doch nicht konkret werden. Die Ankunft Gottes auf der Erde zu Weihnachten war aber etwas sehr Konkretes. 
JB: Jesus ist für die Armen, die Einfachen auf die Erde gekommen, für jene, die am Rand stehen. Das ist das Zentrale: Dieser so mächtige Gott ist eine so kleine Gestalt geworden und hat sich mit uns Menschen verbunden! 

Schenken Sie einander etwas zu Weihnachten? 
AB: Nein, auch innerhalb unserer Familie nicht mehr mehr. Anstatt zu wichteln sammeln wir Geld für ein Hilfsprojekt. Wir haben alles, uns geht es gut. Wir schenken uns ganz bewusst nichts. 

Autor
Quelle: Oberwiggertaler (Woche 51 / 2017)

Publiziert am
21.12.2017