«Wenn jemand ein Tor schiesst, spielt die Herkunft keine Rolle»

«Wenn jemand ein Tor schiesst, spielt die Herkunft keine Rolle»

Fussballer und Unterkunftsleiter: Dragan Kuzmanovic ist im Rossfeld für 120 Flüchtlinge zuständig.
Fussballer und Unterkunftsleiter: Dragan Kuzmanovic ist im Rossfeld für 120 Flüchtlinge zuständig.
© Christian Pfander / Berner Zeitung / Limitierte Rechte

Fussballer und Unterkunftsleiter: Dragan Kuzmanovic ist in der Heilsarmee-Kollektivunterkunft Rossfeld für 120 Flüchtlinge zuständig.

Dragan Kuzmanovic ist seit der Eröffnung im Juli Leiter der Kollektivunterkunft Rossfeld. Im Interview erzählt der 27-Jährige von seinen Erfahrungen und Herausforderungen. «Natürlich würde ich mir wünschen, dass jede und jeder sich einem Verein anschliesst, aber ich kann niemanden dazu zwingen.» Dragan Kuzmanovic Fussball ist die beliebteste Sportart der Welt.

Wie populär ist sie in Ihrem Asylzentrum?
Dragan Kuzmanovic: Sehr populär. Wenn Champions League oder Europa League gespielt wird, schauen sich die Bewohner die Partien an und fiebern mit. Einmal erkundigte sich jemand über die Möglichkeit, Volleyball zu spielen, aber alle anderen, die Sport treiben wollen, gehen zum Fussball, haben sich dem FC Bern oder auch dem FC Weissenstein angeschlossen.

Steht das Asylzentrum in Kontakt mit Fussballklubs in der Region und vermittelt Plätze? Oder wie kommt es, dass so viele Flüchtlinge bei einem Verein wie dem FC Bern Unterschlupf finden?
Da war auch etwas Zufall dabei. Als ich merkte, dass vonseiten der Bewohner grosses Interesse besteht, in einem Verein Fussball zu spielen, habe ich mit den Verantwortlichen des FC Bern Kontakt aufgenommen und mich erkundigt, ob dies für die Flüchtlinge möglich sei. Die Antwort kam prompt, das sei überhaupt kein Problem, sie sollten einfach mal im Training vorbeikommen. Offensichtlich bestand gegenseitiges Interesse. Seither haben sich immer mehr dem Klub angeschlossen.

Merken Sie Unterschiede zwischen solchen, die die meiste Zeit in der Unterkunft bleiben, und denjenigen, die öfter nach draussen gehen?
Das ist stark sprachabhängig. Diejenigen, die bereits gut Deutsch sprechen und verstehen, wagen es eher, nach draussen zu gehen und einer Aktivität nachzugehen. Andere wiederum, die erst seit kurzem in der Schweiz sind, sind lieber für sich allein und fühlen sich in einem Umfeld, in dem sie die Sprache nicht verstehen, noch nicht wohl. In unserer Unterkunft ist das Spektrum diesbezüglich sehr gross, aber das ist normal und hat auch mit den Verhältnissen und Umständen einer Person zu tun. Für eine junge Einzelperson ist es sicherlich einfacher, sich im neuen Umfeld zu integrieren, als für einen Familienvater, der sich primär um das Wohl seiner Familie kümmern muss.

Wie sieht denn der Alltag eines Bewohners aus?
Die Bewohner sind in einem Beschäftigungsprogramm integriert, arbeiten also tagsüber beispielsweise beim Betriebscenter des Kompetenzzentrums Integration der Stadt Bern in den Bereichen Bernmobil (Team Sauber), Landschaftspflege oder internen und externen Reinigungsdiensten. Zudem bieten wir ihnen die Möglichkeit, zweimal pro Woche einen Deutschkurs zu besuchen. Am Abend machen dann viele eben Sport.

Durchs Mitwirken in einem Verein sollen sie sich schneller integrieren und die Sprache lernen, sagen viele Flüchtlinge. Können Sie diesen positiven Effekt bestätigen?
Auf jeden Fall. Natürlich würde ich mir wünschen, dass jede und jeder sich einem Verein anschliesst, aber ich kann niemanden dazu zwingen. Ich kann lediglich das Positive hervorheben, sie dazu ermutigen, Kontakte zu knüpfen. Fussball verbindet. Wenn jemand ein Tor schiesst, jubeln alle gemeinsam, da spielen Herkunft, Hautfarbe oder Religion keine Rolle.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, in dem Sie eine Veränderung festgestllt haben?
Seraj Tawakoli spielt nun seit ein paar Monaten beim FC Bern. Als er in die Unterkunft kam, war er sehr impulsiv, regte sich schnell über die kleinsten Dinge auf. Heute ist er viel ruhiger, kann auch gut mit Kritik umgehen. Ich denke schon, dass dieser Wandel damit zusammenhängt, dass er sich - auch im Fussballverein - ein soziales Umfeld aufgebaut hat und einer geregelten Tagesstruktur nachgeht.

Strebt das Asylzentrum in Anbetracht dieses positiven Effekts weitere Projekte und Aktivitäten an, welche die Integration erleichtern könnten?
Die Heilsarmee ist eine Integrationsorganisation. In vielen verschiedenen Projekten werden Sprache, Arbeit und Kultur vermittelt. Ich und mein Team sind hier im Rossfeld für 120 Personen zuständig. Wir müssen schauen, dass die alltäglichen Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Aber ich spiele selber Fussball, beim Drittligisten Slavonija Bern. Ich weiss, welche Wirkung Sport und das Vereinsleben haben können.

Autor
Quelle: Berner Zeitung (27.12.2017)

Publiziert am
27.12.2017