Die Heilsarmee ist auch eine Firma

Die Heilsarmee ist auch eine Firma

Für die Heilsarmee sind die Wochen vor Weihnachten von Betriebsamkeit ge­prägt. Viele Mitglieder singen und musizieren auf den Strassen.
Für die Heilsarmee sind die Wochen vor Weihnachten von Betriebsamkeit ge­prägt. Viele Mitglieder singen und musizieren auf den Strassen.
© L. Geissler / Lizenzfrei

Uniformen und Topfkollekten sind ihr Markenzeichen. Doch die Heilsarmee ist nicht nur eine Freikirche. Sie ist ein komplexes Unternehmen.

Eigentlich, so lehrt es das Christentum, ist der Advent die Zeit der Besinnung und Einkehr. Für die Heilsarmee sind die Wochen vor Weihnachten aber von Betriebsamkeit ge­prägt. Viele Mitglieder singen und musizieren auf den Strassen, um im Rahmen der traditionellen Topfkollekte eine Spende oder ein bisschen Aufmerksamkeit der vorbeieilenden Passanten zu erwirken. Weder Kälte noch Schnee können den zumeist leicht ange­grau­ten Musizierenden etwas anhaben, und mit ihren Uniformen zeigen sie sich auch immun gegenüber Modetrends und Eitelkeiten. Bei der 1865 in London gegründeten Freikirche, die sich zum Ziel setzt, sowohl die materielle als auch die seelische Not der Menschen zu lindern, scheint die Zeit stillzustehen.

Mit CFO und CEO
Doch der Schein trügt. Das zeigt sich beim Besuch des Schweizer Hauptquartiers der Heilsarmee in Bern, nahe dem Bahnhof. Vor­bei sind die Zeiten, als man sich hier noch in militärischer Strenge mit dem Dienstgrad ansprach. Auf der Visitenkarte von Andreas Stettler, der im Territorium Schweiz, Österreich und Ungarn für die Betriebswirtschaft und die Finanzen zuständig ist, steht weder Sergeant noch Rechnungsführer oder Quartiermeister, sondern schlicht CFO, wie sich das heutzutage für einen Finanzchef eben gehört. Auch ein CEO, derzeit eine Frau, findet sich im Organigramm. Die Stiftung ist weit mehr als eine reine Glaubensgemeinschaft. Sie ist ein mittelgrosses Unternehmen, das seine Zahlen detailliert nach dem Standard Swiss GAAP FER ausweist.

In der Schweiz wird mit fast 2000 Angestellten ein Umsatz von 230 Mio. Fr. erwirtschaftet. Das ist ein ähnlich hoher Umsatz, wie ihn der Klimatechniker Walter Meier AG, der Pharmazulieferer Bachem Holding oder der Optiker Visilab erzielen. In der 565 Mio. Fr. schweren Bilanz fallen die hohen Sach­anlagen auf. Der Posten schlägt mit 247 Mio. Fr. zu Buche, was auf den imposanten Immobilienbesitz zurückzuführen ist. Bei diesen Immobilien handle es sich aber nicht um Renditeobjekte, betont Stettler. Sie würden überwiegend betrieblich ge­nutzt, etwa für die 36 sozialen Einrichtungen. Dazu zählen Wohnheime, Behindertenwerkstätten, temporäre Unterkünfte für Passanten, Alters- und Pflegeheime, Kinderkrippen und Kinderheime.

Staatliche Leistungsaufträge
Die Vielzahl sozialer Einrichtungen spiegelt sich auch in der Einnahmenstruktur: Anders als oft vermutet, finanziert sich die Heilsarmee nicht in erster Linie über Spenden. Weit wichtiger als Spenden (sie betrugen 2016 knapp 40 Mio. Fr.) oder Erbschaften und Legate (13 Mio. Fr.) sind Beiträge der öffentlichen Hand (77 Mio. Fr.). Diese Beiträge erhält die Heilsarmee für die Erfüllung staatlicher Leistungsaufträge, etwa zur Betreuung von Behinderten oder – im Kanton Bern – zum Betrieb von Durchgangszentren im Flüchtlingswesen. Die Verflechtung mit dem Staat kann aber auch ihre Tücken haben: So wurde die Heilsarmee 2016 in Neuenburg dazu verknurrt, in einem staatlich subventionierten Altersheim auch begleiteten Suizid zuzulassen. Zwar sah die Heilsarmee darin einen Verstoss gegen die Religionsfreiheit; das Bundesgericht wies die Beschwerde aber ab, da das Heim als öffentliche Institution betrachtet wurde.

Staatliche Leistungsaufträge und religiöse Überzeugungen können sich also in die Quere kommen. Nur noch als ausführenden Arm einer Behörde will Stettler die Heilsarmee daher auch in Zukunft nicht sehen. Unabhängigkeit sei wichtig. Dazu beitragen sollen unter anderem die insgesamt 19 Brockenhäuser. Sie dürften 2017 einen Gewinn von 2,2 Mio. Fr. generieren, das entspräche zirka 10% des (von der Mehrwertsteuer befreiten) Umsatzes. Nach schwierigen Jahren laufe dieses Geschäft wieder gut, sagt Stettler. Die Brockis wurden entstaubt, die Abläufe optimiert. Ähnlich wie Kaufhäuser habe man lernen müssen, einen Brocki-Besuch zu einem Erlebnis zu gestalten, etwa mit separaten Kaffee-Ecken oder Spezialverkäufen. Es gelte, sich abzuheben von Secondhand-Börsen im Internet.

Kleine Lohnunterschiede
Modernisierung, Optimierung, Professionalisierung: Was die meisten Unternehmen umtreibt, gilt auch für die Heilsarmee. Bei der Kostenstruktur gehört sie dabei zu den Branchenbesten. So liegt der Aufwand für Administration, Fundraising und Werbung bei nur 6,2% des Betriebsaufwandes. Ein Grund dafür ist das tiefe Lohn­niveau. Zudem sind die Unterschiede zwischen den tiefsten und den höchsten Ein­kommen mit einer Lohnschere von 1 zu 3,5 gering. Als CEO der Heilsarmee verdiene man weniger als ein Heimleiter. Wenn Stettler einen diplomierten Wirtschaftsprüfer sucht, kann er daher nicht Löhne offerieren, die in der Privatwirtschaft üblich sind. Er muss darauf zählen, dass seine ideellen Trümpfe überzeugen.

In der Öffentlichkeit kann die Heilsarmee auf ein gutes Image zählen. Der von der Universität St. Gallen verfasste Gemeinwohl-Atlas – eine Rangliste des gesellschaftlichen Nutzens von Schweizer Organisationen – ordnet die Salutisten auf dem 13. Rang ein, noch vor Ärzte ohne Grenzen, Terre des hommes oder WWF. Seit Jahren recht stabil sind auch die Einnahmen aus der Topfkollekte, sie liegen bei rund 1,2 Mio. Fr. Die Vermutung, dass in Krisenzeiten weniger gespendet wird, kann Stettler nicht bestätigen. Eher sei das Gegenteil der Fall. In schweren Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit steige die Solidarität. Wenn die Leute hingegen satte Boni kassierten, meine mancher, es laufe ja alles rund – und eine Spende erübrige sich.

Autor
Quelle: NZZ (26.12.2017)

Publiziert am
27.12.2017