Menschen von den Ketten der Sklaverei befreien

Menschen von den Ketten der Sklaverei befreien

Oft sind die Ketten der modernen Sklaverei unsichtbar. Dennoch kann sie an konkreten Merkmalen erkannt werden. / Les chaînes de l’esclavage moderne sont souvent invisibles, mais on peut les reconnaitre.
Oft sind die Ketten der modernen Sklaverei unsichtbar. Dennoch kann sie an konkreten Merkmalen erkannt werden. / Les chaînes de l’esclavage moderne sont souvent invisibles, mais on peut les reconnaitre.
© MrAnathema, Flickr.com / Lizenzfrei

Im Kampf gegen die Zwangsarbeit hat die Heilsarmee eine Sensibilisierungs- und Informationsstrategie bereitgestellt.

Nach Schätzungen der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gibt es weltweit rund 21 Millionen Opfer von Zwangsarbeit. Einige von ihnen leben in der Schweiz. Man geht davon aus, dass 90 % aller Zwangsarbeiter, also 18 Mllionen Menschen, in der Privatwirtschaft durch Privatpersonen oder Privatunternehmen ausgebeutet werden. Die restlichen 2,2 Millionen werden von staatlichen Stellen oder militärischen Rebellengruppen der Zwangsarbeit unterworfen.

Von den Opfern in der Privatwirtschaft wird jeder Vierte sexuell ausgebeutet, während 14,2 Millionen (68%) in Fabriken, Landwirtschaft oder im Baugewerbe leisten müssen. Nach Angaben der ILO bringt die Zwangsarbeit den Auftraggebern in der Privatwirtschaft 150 Milliarden Dollar pro Jahr ein. Aufgrund der hohen Dunkelziffer lassen sich diese Zahlen jedoch nur schätzen. Die illegalen Machenschaften geschehen im Verborgenen. Möglicherweise sieht die Realität noch trauriger aus. Der Menschenhandel betrifft alle Länder, die Herkunfts-, Transit-, oder Zielländer der Opfer.

Zweifel am eigenen Wert
Laut Majorin Christine Volet, der Verantwortlichen der Fachstelle Soziale Gerechtigkeit der Heilsarmee Schweiz, sind Migranten besonders gefährdet: «Diese geschwächte Bevölkerungsgruppe steht immer in der Gefahr, in die Fänge von Menschenhändlern zu geraten. Oft haben diese Menschen ihr gesamtes Erspartes für skrupellose Schlepper aufgebraucht. In sie ist die Hoffnung auf Überleben der ganzen Familie gesetzt. Zudem kennen sie ihre Rechte oft nicht.»

Das alles sind Gründe, weshalb Menschen bereit sind, illegale Arbeit anzunehmen und sich in Unternehmen oder im Sexmarkt ausbeuten zu lassen. Manchmal werden die jungen Frauen von ihren eigenen Familien verkauft. Diesen Opfern fällt es besonders schwer, zu verstehen, dass sie selbst einen Wert als Menschen und nicht bloss einen Verkaufswert besitzen.

Nach dem Übereinkommen Nr. 29 zur Zwangsarbeit von 1930 wird Zwangs- oder Pflichtarbeit wie folgt definiert: «Jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.» Davon ausgenommen ist die Arbeit im Rahmen des obligatorischen Militärdienstes, normale Bürgerpflichten, jede Arbeit, die von einer Person aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung ausgeübt wird, jede Arbeit in Fällen von höherer Gewalt oder kleineren Gemeindearbeiten, die unmittelbar dem Wohle der Gemeinschaft dienen.

Es braucht uns alle
Die Heilsarmee beteiligt sich am Kampf gegen dieses Übel und hat dazu eine Sensibilisierungs- und Informationsstrategie bereitgestellt. Damit dieser Kampf erfolgreich ist, müssen möglichst viele Menschen das Problem erkennen. Jeder ist wichtig. Am Welttag gegen den Menschenhandel hielt UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon fest: «Zu den Opfern der Menschenhändler gehören die hoffnungslosesten und gefährdetsten Menschen. Um diesen unmenschlichen Praktiken ein Ende zu setzen, müssen wir Migranten und Flüchtlinge, insbesondere Frauen und Kinder, noch stärker gegen diejenigen schützen, die ihre Hoffnungen auf eine bessere, sichere und würdigere Zukunft ausnutzen.» Was heisst das konkret?

Die Zeichen erkennen
Die «Ketten» der modernen Sklaverei sind häufig unsichtbar. Bedrohungen, Irreführungen und perfide psychologische Beeinflussungenseitens der Menschhändler verhindern, dass sich die Opfer selbst befreien. Denn sie sehen sich nicht unbedingt als Opfer. Vielleicht haben Sie eine solche Person bereits im Alltag getroffen, ohne es zu bemerken. Die Menschenhändler bringen ihre Opfer oft an andere Orte, damit diese nicht genau wissen, wo sie sind und nicht von anderen Menschen erkannt werden können. Die folgende Liste enthält Merkmale, die darauf hinweisen, dass es ein Opfer von Menschenhandel sein könnte. Diese Merkmale sind jedoch nicht in allen Fällen von Menschenhandel sichtbar.

Die Person
•    kann nicht frei entscheiden, wohin sie geht.
•    ist mindestens 18 Jahre alt und arbeitet im Sexgewerbe.
•    leistet unbezahlte, unregelmässig bezahlte oder schlecht bezahlte Arbeit.
•    hat aussergewöhnlich lange Arbeitszeiten oder arbeitet zu ungewöhnlichen Zeiten.
•    erhält kein Recht auf Pause oder arbeitet unter seltsamen Bedingungen.
•    ist stark verschuldet und unfähig, die Schuld abzuzahlen.
•    wurde durch falsche Versprechungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen getäuscht.
•    lebt oder arbeitet unter erhöhten Sicherheitsbedingungen (gefärbte, abgeschlossene oder vergitterte Fenster, Stacheldraht, Überwachungskameras usw.).

Psychische Instabilitt oder Verhaltensauffälligkeiten
•    Die Person wirkt ängstlich, deprimiert, unterwürfig, angespannt oder paranoid.
•    Die Person verhält sich extrem unsicher oder wirkt befangen, wenn es um das Gesetz geht.
•    Die Person vermeidet den Blickkontakt.
•    Die Person hat gesundheitliche Probleme.
•    Die Person wirkt unterernährt.
•    Die Person zeigt Merkmale von physischem oder sexuellem Missbrauch, von körperlicher Gewalt, von Freiheitsentzug oder von Folter.

Kontrollmangel
•    Die Person besitzt nur wenige oder keine persönlichen Gegenstände.
•    Die Person hat keine Kontrolle über die eigenen Finanzen, Finanzdokumente oder Bankkonti.

Weiter
•    Die Person sagt, sie sei nur zu Besuch da. Sie kann keine genauen Angaben zu ihrem Wohnort machen.
•    Die Person hat kein Zeitgefühl.
•    Die Erzählungen der Person weisen Unstimmigkeiten oder Widersprüche auf.

Wenn Ihnen an jemandem solche Merkmale auffallen oder Sie einen Verdacht auf Menschenhandel haben, kontaktieren Sie den Verein Act212 unter Telefon 0840 212 212. Auf der Homepage des Vereins ist es möglich, ein anonymes Formular auszufüllen. Sie können auch Kontakt mit der Opferhilfe aufnehmen oder sich an die örtliche Polizei wenden, wenn die betreffende Person damit einverstanden oder ihr Leben in Gefahr ist.

Bestellen Sie hier das Handbuch Zwangsarbeit der Fachstelle Soziale Gerechtigkeit.
 

 

Autor
Sébastien Goetschmann

Publiziert am
3.10.2017