Polizei sucht Dialog mit Flüchtlingen

Polizei sucht Dialog mit Flüchtlingen

"Vorbeugen ist besser als heilen": Workshop des Präventionsteams der Kantonspolizei im Refnerhaus Bern
"Vorbeugen ist besser als heilen": Workshop des Präventionsteams der Kantonspolizei im Refnerhaus Bern
© Fabio Samonini / Lizenzfrei

Die Tagesschau berichtet über Kurs der Kantonspolizei Bern in der Kollektivunterkunft der Heilsarmee in Ringgenberg.

Bei Flüchtlingen in der Schweiz kommt es im Umgang mit der Polizei häufig zu Missverständnissen. Die Kantonspolizei Bern setzt deshalb nicht nur auf Broschüren und Filme, sondern sucht den direkten Kontakt zu den Flüchtlingen. Mit Antworten auf rechtliche Fragen des Alltags bereitet die Kantonspolizei Flüchtlinge auf das Leben in der Schweiz vor. Die Präventionsmodule hat die Kantonspolizei gemeinsam mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erarbeitet.

Sehen Sie hier die Sequenz der Hauptausgabe der Tagesschau vom 20. Mai 2017 aus der Kollektivunterkunft (KU) der Heilsarmee in Ringgenberg. In der Sedung wird fälschlicherweise Riggisberg gesagt. Die KU Riggisberg wurde aber 2015 geschlossen.

 

"Die Polizei darf niemanden schlagen"

Präventionsmodule dieser Art führt die Kantonspolizei Bern seit 2015 durch. Mehr als dreissig Mal besuchten Polizisten bisher Asylzentren. Lesen Sie im folgenden den Bericht der Berner Zeitung über den am 12. Mai 2017 durchgeführten Kurs im Renferhaus.

Wenn Michael Bettschen und Lea Bichsel im Alltag jemanden aus Afghanistan oder dem Iran einer Personenkontrolle unterziehen, kann es ganz schön knifflig werden. Denn die beiden Kantonspolizisten sprechen erwartungsgemäss weder Dari noch Farsi. Umso wichtiger werden ­dabei Gesten, Mimik, Zeichensprache.

An diesem Nachmittag haben sie es leichter: Eine Übersetzerin ­beseitigt für die beiden Ordnungshüter die Kommunikationshürden. Schauplatz ist die Asylunterkunft der Heilsarmee im Renferhaus auf dem Areal des ehemaligen Zieglerspitals. Kantonspolizisten erklären den Flüchtlingen die Polizeiarbeit und die Regeln des Zusammenlebens in der Schweiz.

Bettschen und Bichsel wollen von ihrer Gruppe wissen, ob jemand von ihnen in der Heimat schon einmal von der Polizei kontrolliert worden sei. Mehrere Hände schnellen in die Höhe. Ein junger Mann aus Afghanistan sagt, er sei dabei von den Polizisten geschlagen worden. Michael Bettschen stellt klar: «In der Schweiz darf Sie ein Polizist nicht schlagen.»

Auch dürfe eine Personenkontrolle nie willkürlich durchgeführt werden. «Es braucht dafür einen Grund oder einen Verdacht.» Warum er in Bern am Bahnhof denn schon dreimal kontrolliert worden sei, will ein anderer Afghane wissen. Bettschen kann nur mutmassen. Er erklärt ihm, dass Bahnhöfe generell dafür bekannt seien, dass dort nicht selten Drogengeschäfte und Ähnliches abgewickelt würden. «Dort werden deshalb häufiger Kontrollen durchgeführt.»

In einem Rollenspiel üben die Männer und Frauen dann den Ablauf einer Personenkontrolle. Dabei erfahren sie auch, dass es in der Schweiz keine Provokation ist, wenn man einem Polizisten in die Augen schaut.

«Ein Kleid ist kein Freipass»
Es gibt an diesem Nachmittag noch zwei weitere Posten. Einerseits erhalten die Asylbewerberinnen und Asylbewerber einen Crashkurs über das Verhalten im Strassenverkehr. Nach dem Theorieteil gehts zum Fussgängerstreifen, wo das Überqueren der Strasse geübt wird.

Andererseits lernen die Flüchtlinge beim dritten Posten die wichtigsten Regeln für ein friedliches Zusammenleben. Klar, dass da das Rollenbild Mann/Frau thematisiert wird. Kantonspolizist Simon Herren macht anhand einer Powerpointpräsentation klar, dass ein Mann und eine Frau hierzulande die gleichen Rechte haben und für den gleichen Job auch den gleichen Lohn erhielten. «Zumindest bei der Polizei», wie er schmunzelnd anfügt. Ein Mann dürfe eine Frau auch nicht einfach anfassen. «Ein Nein ist ein Nein.» Dabei spiele es keine Rolle, ob die Frau verhüllt oder leicht bekleidet sei. «Ein luftiges Kleid ist kein Freipass.»

«Verständnis schaffen»
Der Austausch mit den Polizisten stösst im ehemaligen Zieglerspital auf grosses Interesse. Mehr als 50 Personen absolvieren die drei Posten des Präventionsmoduls. Michael Fichter ist zufrieden. Er ist als Chef des Bereichs Prävention der Kantonspolizei Bern für den Inhalt des Moduls und die Durchführung der Workshops verantwortlich.

«Die Wirkung der Prävention ist natürlich schwer messbar. Wir können aber Verständnis für unsere Arbeit schaffen und Hemmschwellen abbauen. Denn viele Asylsuchende haben in ihren Heimatländern oder auf dem Weg nach Europa schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht und sind misstrauisch.» Den einen oder anderen Konflikt könne man durch die Informationsanlässe vermeiden. Man könne den Flüchtlingen etwa ­anschaulich erklären, was Nachtruhe ist und dass Lärm dann als störend gilt.

Berner Modell macht Schule
Seit 2015 führt die Kantonspolizei Bern die Präventionsmodule durch. Erarbeitet hat sie diese gemeinsam mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Mehr als dreissig Mal besuchten Polizisten bisher Asylzentren. Die Rückmeldungen seien sehr positiv, so Fichter. Sowohl von den Zentrumsbetreibern wie auch von den Flüchtlingen. Bern hat mit diesen Kursen auch das Interesse anderer Polizeikorps geweckt. «Einige haben unsere Unterlagen übernommen», sagt Fichter.Wichtig ist ihm an diesen Veranstaltungen auch, dass die Polizei in ungezwungenem Rahmen und relativ diskret Informationsmaterial zu heiklen Themen wie etwa häuslicher Gewalt verteilen kann. «Eine betroffene Frau wird in einer Diskussionsrunde kaum erzählen, dass sie geschlagen worden ist. Wenn sie aber sieht, dass in ihrer Sprache ein Flyer aufliegt, der die möglichen Anlaufstellen enthält, konnten wir bereits helfen.»

Quelle: Berner Zeitung (16.05.2017)

Autor
Die Redaktion

Publiziert am
21.5.2017