Radikalreligiös?

Radikalreligiös?

© Patrick aka Herjolf flickr.com / Lizenzfrei

Wie radikal sollen oder dürfen Christen sein? Über Methodisten, die Heilsarmee und andere Gemeinschaften und Kirchen.

Schon immer gab es Menschen, die sich mit einem durchschnittlichen Christentum nicht zufrieden geben wollten. Die Unterschiede von radikaler Christusnachfolge und Sektierertum sind aber nicht immer leicht zu erkennen. Es rumort zur Zeit im Toggenburg, ausgerechnet im Geburtsort von Reformator Ulrich Zwingli. Dort hat die Genossenschaft Bionarc das alte Gemeindehaus aufgekauft, was unter der Bevölkerung Besorgnis ausgelöst hat. Bionarc steht dem Deutschen Klaus Pesch, Leiter von «The Team», nahe, wie die Zeitschrift «Der Beobachter» in seiner neuesten Ausgabe berichtet.

Interessant sind die Etiketten, die der Vereinigung und der Genossenschaft zugeteilt werden. Es handle sich um eine «radikalreligiöse Gemeinschaft» bzw. christliche Fundamentalisten (Beobachter), eine christlich-fundamentalistische Gruppe (Hugo Stamm), eine fundamentalistisch christliche Radikalgruppe (Georg O. Schmid) oder aber gemäss Beobachter-Autor Yves Demuth schlicht um eine «Sekte».

 

«Heilige Orte» schaffen

Es herrscht somit eine mittlere religiöse Begriffsverwirrung. Die Leiter der Bionarc mit Patrick Rupf sehen sich selbst als eine Gruppe befreundeter christlicher Unternehmer, die nachhaltig auf der Grundlage der Bibel arbeiten und verschiedenste Dienstleistungen – vom nachhaltigen Bauen bis zur Ernährungs- und Gesundheitsberatung – anbieten. Gegen sie hat der Beobachter nichts Negatives ins Feld zu Führen, wohl aber gegen «The Team», dessen Leiter Klaus Pesch von Aussteigern als «autoritärer Anführer» bezeichnet wird, der die Mitglieder mit einer «angeblich unfehlbaren Bibelinterpretation» manipuliere und sie dazu bewege, nebst Spenden auch Darlehen aufzunehmen, um den Kauf von Liegenschaften zu unterstützen, die als «heilige Orte» gelten.

 

Diskreter religiöser Anführer

Klaus Pesch, dessen «Team» lediglich zwischen 20 bis 50 Personen angehören sollen, scheint Prototyp eines religiösen Anführers zu sein, der ungestillte Bedürfnisse von Christen vornehmlich aus dem freikirchlichen Bereich anspricht und darauf die richtige «biblische» Antwort hat. Er kann Vertrauen schaffen und ist auch als Lebensberater willkommen. Im Gegensatz etwa zur Gruppe «The Last Reformation» ist er im Internet wenig präsent.

Dort äussern sich vornehmlich Aussteiger mit ihrer Kritik am absoluten Führungsstil und den Geschäftspraktiken. Über seine Lehrinhalte hält er sich selbst bedeckt. Eine eigene Webseite sucht man vergeblich. Patrick Rupf bewundert ihn als einen Mann, der die Stimme Gottes hört und danach handelt. Ehemalige aber warnen vor dem Missbrauch von Gottes Wort im Zusammenhang mit Klaus Pesch.

Das Ideal radikaler Christusnachfolge

Männer – auch einige Frauen – wie Klaus Pesch gab es zu allen Zeiten. Sie haben immer die Kirchen mit ihrem Ruf zu einem radikaleren Christenleben beunruhigt. Einige haben sie auch weiter geführt oder neue segensreiche Organisationen und Kirchen gegründet. Man denke an John Wesley (Gründer der Methodistenkirche) oder William und Catherine Booth (Heilsarmee). Aber noch öfter stolperten selbst ernannte Berufene und Propheten über ihr überzogenes Ego und andere Schwächen und richteten grossen geistlichen und seelischen Schaden an.

Nachfolge – für wen?

Kürzlich hat die Stadt Winterthur eine Broschüre publiziert, in der sie 11 Merkmale von problematischen Gruppen – und deren Anführern – beschreibt und Hinweise gibt, wie man damit umgehen kann. Sie zielt vornehmlich auf radikale Gruppen wie Rassisten und Islamisten. Etliche davon lassen sich auch auf problematische christliche Gruppen und Einzelpersonen anwenden. Für christliche Sondergruppen besonders typisch ist aber der quasi unfehlbare Leiter bzw. die Leiterin, die nur Gleichgesinnte um sich schart, die weder Lehre noch Praxis der Leitung in Frage stellen.

Leiter, bei denen alle Fäden zusammenlaufen müssen. Sie haben ein unzweifelhaftes Charisma, vielleicht prophetische Begabung und Heilungskräfte. Aber sie grenzen sich von jeder Kritik ab und lehnen eine Verteilung von Verantwortung und Kompetenzen ab. Sie schaffen sich eigene Nachfolger statt Jünger für Christus. Das positive Gegenbeispiel sind Menschen wie Billy Graham oder Pfarrer Sieber, die bei allen Erfolgen demütig blieben und zwar nicht ohne Schwächen waren, aber Korrektur und Kritik annehmen konnten.

Autor
Fritz Imhof, Livenet (07.08.2018)

Publiziert am
8.8.2018