Vorführung «Thorberg» mit Dieter Fahrer

Vorführung «Thorberg» mit Dieter Fahrer

Dieter Fahrer beantwortet Fragen zu seinem Film.
Dieter Fahrer beantwortet Fragen zu seinem Film.
© Livia Hofer / Lizenzfrei

Vergangenen Freitag zeigte die Heilsarmee im Korps Bern den Film «Thorberg». Regisseur Dieter Fahrer stellte sich den Fragen der Zuschauer.

Dieter Fahrer porträtiert in seinem Dokumentarfilm «Thorberg» (2012) sieben Straftäter , die im Gefängnis Thorberg ihre Freiheitsstrafe verbüssen. Der Film deutet an, wie hart das Leben im Gefängnis sein kann. Er dokumentiert besonders die Wirkung von Freiheitsentzug und fehlenden sozialen Kontakten auf die Psyche. So erstaunt nicht, das ein Zuschauer fragt, ob und wie effektiv Haftstrafen sind - insbesondere im Bezug auf die angestrebte Besserung der Delinquenten.

Eigene Erfahrung als Auslöser zum Film

Dieter Fahrer stellte sich den Zuschauern vor: Weil er keinen Militärdienst leisten wollte, floh er nach Deutschland und studierte in München Fotografie. Als er zurück in die Schweiz kam, erhielt er ein psychologisches Gutachten, das ihn vom Militärdienst befreite. Er wurde in den Zivildienst beordert, in dem es während der Zeit des Kalten Krieges viel um Bunkerleben und russische Invasion ging. Dem konnte Fahrer wenig abgewinnen. Zwei Tage nach Dienstantritt kündigte er an, nicht mehr zu kommen. Er kam vor Gericht. Der junge Mann wurde zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt, die er im Regionalgefängnis Bern absass.

Die Haftbedingungen, insbesondere die geschlossenen Türen ohne Türfallen sowie die Schreie von Mitinsassen haben auf Fahrer bleibende Eindrücke hinterlassen. Solche, die sich mit Begriffen wie «Kuscheljustiz» und «Kuschelknast» nicht decken. Fahrer beschliesst, den damaligen Direktor vom Thorberg, Hans Zoss, um Erlaubnis zum Filmdreh zu fragen. In einer langen Phase des gegenseitigen Kennenlernens mit intensiven Gesprächen bereiten sie das Projekt vor.

Publikumsfragen an den Regisseur

Im Anschluss an die Filmvorstellung richteten die Besucher Fragen an Regisseur Dieter Fahrer. Die Publikumsfragen und die Antworten hat die Heilsarmee für Sie als Audio (in Berndeutsch) aufgenommen: 

Zusammenfassung der Fragen & Antworten

Frage: 
Ging es lange, bis die Häftlinge zu reden begonnen? 

Antwort:
Es war unterschiedlich. Auch die Tiefe der Gespräche, die entstanden. Aber es brauchte Zeit, bis ich nicht mehr als «Teil des Systems» wahrgenommen wurde, der ich am Anfang in Begleitung der Betreuung war. Als ich die Video-Werkstatt initierte und Häftlinge bei mir arbeiten durften, erhielt ich einen Passepartout (Generalschlüssel). Ich durfte mich mit den Insassen in ihren Zellen einschliessen lassen, was den wesentlichsten Zugang für mich bedeutete. Ich konnte sehr lange mit den Leuten in der Zelle sitzen, auch übers Wochenende, wo sie 19 Stunden eingeschlossen sind. Was macht man in einer Zelle von 9,5m2? Rauchen. Kaffee trinken. Schweigen. Reden und oft auch weinen.

Frage:
Haben Sie immer noch Kontakt zu einigen der Männer?

Antwort:
Ich habe auch nach der Veröffentlichung des Films weiterhin den Filmklub im Thorberg abgehalten. Mit dem Direktionswechsel auf dem Thorberg war dies nicht mehr möglich. Ich hatte aber mit einigen auch nach ihrer Ausschaffung noch Konktakt. Zur Zeit bin ich noch mit Luca in Kontakt, der in eine Hochsicherheits-Psychiatrie verlegt wurde. Er hat viel Schlimmes erlebt seither, bekam viele Medikamente, die ihn inkontinent machten. Es geht ihm jetzt ein wenig besser, da er mit der Erlaubnis zu joggen endlich ein wenig Freiheit bekommt.

Frage:
Haben Sie die Häftlinge nach ihren Geschichten gefragt, oder haben sie vorwiegend von sich aus zu erzählen begonnen?

Antwort:
Ja, ich habe natürlich schon Fragen gestellt, jedoch nie nach ihrem Delikt gefragt. Ich durfte zwar die Akten einsehen auf der Kanzlei, tat dies aber nur in einem Fall. Mir ist es wichtig, dass man die Häftlinge nicht mit einem Begriff, wie "Mörder" abstempelt. Das ist ja kein Beruf wie Bäcker. Diese Menschen haben ein Tötungsdelikt begangen unter bestimmten Tatumständen. Bei Timothy, dem kräftigen Afrikaner, ging ich in die Akte, weil ich nicht glauben konnte, dass er nur wegen ein wenig Marihuana und Fuchteln mit dem Messer zu seinem Strafmass kam. Er hat mich tatsächlich angelogen: Er hatte seine Frau mehrfach vergewaltigt. Das wirft natürlich viele Fragen auf: Für ihn, der aus Grenada kommt - vereinfacht gesagt eine Machokultur - gelten Übergriffe in der Ehe nicht als Delikt. Auch in der Schweiz gilt Vergewaltigung in der Ehe noch nicht lange als Delikt. Würde ich vielleicht gleich wie er denken, wenn ich in der Karibik aufgewachsen wäre?

Frage:
Der Thorberg stand ja lange negativ in den Schlagzeilen betreffend Haftbedingungen und Umgang mit den Häftlingen. Auch in Thun, wo ich selbst hineinsah. Wie sehen Sie das, wie ist die Vorbereitung der Insassen auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft?

Antwort:
Ja ich denke, der Thorberg ist fast noch schlimmer als Thun. Es gibt kaum therapeutische Angebote, keine Ausbildungsplätze, nur Bildungsangebote ohne Abschluss. Es gibt kein Beziehungszimmer für Männern mit Familie. Da freute es mich, dass der Grünen-Politiker Hasim Sancar eine Interpellation vorantrieb, um die Angebote im Thorberg zu verbessern. Schliesslich verdient der Kanton Bern am Thorberg jährlich 5 Mio. Franken, die, so meine ich, eigentlich in die Insassen und ihre Resozialisierung investiert werden müssten.

Autor
Gino Brenni

Publiziert am
9.10.2017