«Das Christliche hat an Bedeutungshoheit gewonnen»

«Das Christliche hat an Bedeutungshoheit gewonnen»

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Interview mit René E. Häsler vom ICP. Das Institut wurde vor 25 Jahren von Paul Mori, Sonderbotschafter der Heilsarmee, mitgegründet.

René E. Häsler gehört zu den Pionieren christlicher Sozialpädagogik in der Schweiz. Der Vollblutpädagoge und Stratege ist langjähriger Dozent des Instituts für christliche Psychologie (ICP), das er vor 25 Jahren zusammen mit Paul Mori, Sonderbotschafter der Heilsarmee, gründete. Mit René E. Häsler sprach Fritz Imhof.

René, du bist im Jahr 2000 als Gesamtleiter eines Internats zusammen mit zwei anderen Leitern von Institutionen auf das ICP zugekommen. Was war euer Anliegen damals?

Paul Mori, Hansueli Birenstihl und ich kamen mit dem Wunsch, dass in Zukunft genügend christliche Sozialpädagoginnenund Sozialpädagogen ausgebildet werden,damit der Bedarf unserer Institutionen gedeckt werden kann. Das ICP hatte bis dahin vor allem Sozialtherapeuten ausgebildet. Unsere Erfahrung mit ihnen war,dass sie – zugespitzt gesagt – zuviel redeten und zuwenig handelten. 18 Jahre später ist aus dieser Schule eine anerkannte Höhere Fachschule mit heute 85 Studierenden entstanden.

 

Was freut dich besonders, wenn du auf diesen langen Weg zurückblickst?

Besonders freut mich, dass wir in dieser ganzen Zeit, als unsere Absolventen noch nicht offiziell anerkannt waren, durchhielten und zielstrebig die Voraussetzungen für die Anerkennung schufen. Stolz macht mich, dass wir diese Phase ohne staatliche Finanzierung überbrücken konnten und dabei viel Zuspruch erhielten. Es war eine grosse Leistung der Verantwortlichen rund um Roland Mahler, Werner May und Marc Peterhans, dass wir schliesslich die Anerkennung erlangten.

 

Wie haben sich die Absolventen des Sozialpädagogik-Studiums in der Praxis bewährt?

Die ersten Mitarbeitenden, die wir ans ICP zur Ausbildung überwiesen, arbeiten zum Teil heute noch hier. Seither sind weitere zu uns gestossen. Das ICP steht zwar in Konkurrenz zu andern Ausbildungsstätten, mit denen wir ebenfalls zusammenarbeiten. Wer jedoch das ICP absolviert hat, ist kein Blindgänger, das steht heute fest.

 

Wie sind die Feedbacks der Ausgebildeten?

Es sind Botschafter, die wiederum andere ermutigten, die Ausbildung am ICP zu machen. Sie schätzten vor allem den Praxisbezug dieser   Ausbildung. Das icp profitierte immer von der Mund-zu-Mund-Werbung.

 

Was waren aus deiner Sicht die grössten Herausforderungen auf diesem Weg?

Zum einen war es die finanzielle Situation. Ich machte mich stark dafür, dass die Ausbildung selbsttragend ist und durch das Schulgeld finanziert wird, das von den Studierenden und den zuweisendenInstitutionen aufgebracht wird. Das war eine grosse Herausforderung, insbesondere auch für die Institutionen. Ich habe dafür selbst einen sechsstelligen Betrag aufgeworfen. Die zweite Herausforderung war der Gegenwind von Seiten der Ämter und Behörden, welche die Bewilligungen ausstellen. Eine Berner Direktion sprach gar von einer «Sonntagsschullehrer-Ausbildung». Ein   anderer Vorwurf lautete, dass eine ICP-Ausbildung nicht den Wert einer andern Höheren Fachschule aufweise. So könnten ICP-Absolventen zwr angestellt werden, nicht aber zum Beispiel eine Grossfamilie leiten. Ich führte dazu ein hartes Gespräch mit dem Direktor des Berner Jugendamtes und kritisierte die ungerechte Behandlung unserer Absolventen.

 
Wurden die Widerstände seither abgebaut?

Ja, wir erhielten die Bewilligung als Höhere Fachschule mit der Bestätigung, dass das ICP die Anforderungen sehr gut erfüllt und zum Teil   übertroffen habe. Gegenüber Marc Peterhans äusserte ein Mitglied der Bewilligungsbehörde, dass manches arrivierte Bildungsinstitut im Bereich der Sozialpädagogik sich vom ICP im Blick uf die Konzeptarbeiten «eine Scheibe abschneiden könne».

 

Was war dir als Dozent wichtig, den Studierenden weiterzugeben?

Besonders wichtig war mir, dass wir unter den Dozenten nicht nur Theoretiker ohne Praxisbezug haben, sondern auch Praktiker. Da das ICP stark mit Ignis zusammenarbeitete, bestand anfänglich ein Übergewicht an deutschen Dozenten. Ich setzte mich für einen höheren Anteil an Dozentinnen und Dozenten aus der Schweiz ein. Mir war persönlich auch wichtig, dass ich mit meinen Modulen die Studierenden für Kriseninterventionen fit machen konnte. Sie sollten im voraus, also präventiv, wirken und Krisen wo möglich verhindern. Wenn es eine Krise gibt, soll sie nicht weggezaubert werden, sondern professionell begleitet werden. Wichtig ist aber auch, dass bei Krisen sofort eine Entlastung stattfindet. Es darf sogar eine Würdigung der Krise geben. Ein weiteres wichtiges Modul sind für mich juristische Kenntnisse, die mit der Schaffung der KESB noch wichtiger geworden sind. Unsere Absolventen müssen im konkreten Fall die juristische Ausgangslage sehr gut kennen. Das dritte Anliegen war die   Gesprächsführung. Ich habe ein Modul mit Video-Analysen eingeführt, wobei Gespräche mit echt betroffenen Jugendlichen über Jahre hinweg  in Gsteigwiler aufgezeichnet wurden. Wir haben dafür nicht Schauspieler eingesetzt. Das konnte bedeuten, dass das Gespräch mit einem «stummen Fisch» zu führen war, der vom Studenten erst aus dem Busch geklopft werden musste. Ein anderer sprach wie ein Wasserfall, und es galt, ihn irgendwie zu stoppen. Die Studierenden schätzten dies trotz diesen Herausforderungen und lernten viel dabei. Zur Zeit werden für diese Gespräche professionelle Schauspieler eingesetzt. Das funktioniert natürlich auch. Rollenspiele zwischen Studierenden sind weniger sinnvoll.

 

Was hat sich aus deiner Sicht in der sozialpädagogischen Landschaft seit den Anfängen des ICP am meisten verändert?

Überall wird heute gespart. Stationäre Settings sind teuer, sodass man dafür Alternativen sucht. Das neue Zauberwort heisst  «Sozialraumorientierung». Statt ein Kind in ein Heim in einem andern Kanton zu stecken, soll es wo immer möglich in der Familie bleiben und ein ambulantes Setting erhalten, zum Beispiel eine Familienbegleitung durch «Nannys». Man wartet immer länger, bis man ein Kind in einer Institution platziert. Es gibt seitdem eine «neue Industrie» im ambulanten Bereich, zum Beispiel zahlreiche Angebote in der Familienbegleitung. Zur Zeit wird die Frage geprüft, wie man der dadurch entstandenen Kostenexplosion begegnen soll. Auch der Erfahrung, dass Jugendliche oft erst dann in eine Institution eingewiesen werden, wenn ihr Verhalten sogar die meisten Heime überfordert. Eine Bumerang-Situation. Viele Heime sind seither geschlossen worden, weil sie nicht mehr finanziert werden konnten. Auch wir haben eine Station abgebaut, nachdem die Zahl eingewiesener Schüler rückläufig war. Wir stehen vor einer Wellenbewegung. Früher oder später werden die stationären Settings wieder wichtiger sein. Trends kommen und gehen.

 

Was hoffst oder wünscht du dem ICP, wo es in zehn Jahren stehen soll?

Ich wünsche mir, dass sie die sehr gute Qualität der Inhalte und Module aufrechterhalten und auch den Erfordernissen anpassen können. Das ICP hebt sich schon heute von andern Höheren Fachschule für Soziale Arbeit durch die Klassenbegleiter und Klassenbegleiterinnen ab. Dadurch werden die Studierenden gecoacht und bei persönlichen Fragen professionell begleitet. Das wird auch von den Studierenden sehr geschätzt. Ich wünsche mir auch, dass die hohe Nachfrage nach Studienplätzen anhält. Ausserdem wünsche ich dem ICP auch den Mut, früher oder später eine eigene Liegenschaft zu erwerben, die ihm auch eine zusätzliche Identität vermittelt.

 

Neben dem Präsidium der Schulkommission gibst du auch zunehmend andere Ämter ab und übergibst die Leitung deines Internats an deine Söhne. Wofür möchtest du die frei werdende Zeit in Zukunft nutzen?

Ich kann mir allmählich ein «fading» erlauben und etwas in den Hintergrund treten. Ich werde dem hfs auch bei strategischen Entscheiden zur Verfügung stehen, aber nicht mehr operativ tätig sein. Das gilt auch für das Internat in Gsteigwiler, wo meine Söhne inzwischen in der Lage sind, auch wichtige Entscheidungen zu fällen, wenn es zu Krisensituationen kommt wie letzthin, als sich ein Mädchen selbst verletzte und Scherben schluckte. Ich leite ausserdem noch Firmen wie ein Carosseriewerk, die BeO Pellets GmbH und die Top Camp AG. Angefragt wurde ich für das Präsidium des Schweizerischen Privatschulverbandes, in dem ich bereits Präsident der Qualitätskommission bin.

 

Wie siehst du die Zukunft der christlichen Privatschulen?

Sie haben auf jeden Fall eine Zukunftsperspektive. Ich zitiere dazu meinen Vater, der öfter sagte: «Als Christ sollst du ein weites Herz auf engem Pfade haben.»  Also nicht ein weites Herz auf weitem Pfade und nicht ein enges Herz auf engem Pfade. Das heisst, dass du durch den Glauben Eckpunkte gesetzt hast, aber auch grosse Toleranz üben kannst. Christliche Schulen, die sich eng positionieren, dürften Mühe haben. Wir erleben allerdings, dass allein durch den Begriff «Christliches Internat» viele Anfragen auf uns zukommen. Interessanterweise haben wir ständig auch etwa 12% Muslime bei uns. Nicht aus fundamentalistischen Familien, aber von Familien, die empfinden, dass wir ihnen mit unseren ethischen Werten nahe stehen. Sie wissen, dass bei uns die Sozialpädagogen nicht zusammen mit den Schülern kiffen. Es gibt Verbindendes zwischen unseren Religionen, zum Beispiel die 10 Gebote. In der sozialpädagogigschen Landschaft wurden auch Gesundheitsfragen und Spiritualität wichtige. Das Christliche hat an Bedeutungshoheit gewonnen.

 

René E. Häsler (59) gründete mit 27 Jahren die Privatschule Christliches Internat Gsteigwiler (CIG) mit drei Schülern. Heute hat das CIG verschiedene Stationen mit ca. 70 Schülerinnen und Schülern. Später studierte er an der Universität Bern Pädagogik, Psychologie und Psychopathologie. Seit 2001 war er Dozent am ICP sowie Mitglied und elf Jahre Präsident der Schulkommission. Seit 2000 ist er Vorstandsmitglied und Präsident der Qualitätskommission des Verbandes Schweizerischer Privatschulen.

Autor
ICP-Zeitschrift «Ausblick»

Publiziert am
11.12.2018