«Ein fröhlicher Schulbeginn ist wichtig, egal wo man lebt!»

«Ein fröhlicher Schulbeginn ist wichtig, egal wo man lebt!»

Zwei ukrainische Flüchtlingskinder, die von der Heilsarmee in Ungarn mit neuem Schulmaterial versorgt wurden.
Zwei ukrainische Flüchtlingskinder, die von der Heilsarmee in Ungarn mit neuem Schulmaterial versorgt wurden.
© Andrea Gazsó, Korps Rákoscsaba, Heilsarmee Ungarn / Lizenzfrei

Interview mit Majorin Andrea Gazsó, einer der Leiterinnen des Heilsarmee-Korps in Rákoscsaba, Ungarn, und Spezialistin für psychische Gesundheit.

Mit Beginn des Krieges kamen ukrainische Flüchtlinge nach Ungarn. Daraufhin setzten wir uns sofort mit der Bezirksregierung in Verbindung. Wir wollten sie wissen lassen, dass wir ihnen sehr gerne helfen würden, indem wir psychologische Hilfe bei Traumata anbieten, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Unsere Gemeinde ist recht gut ausge-stattet, wir haben Gebäude und Räume, die sich hervorragend für eine gemeindenahe Betreuung eignen, und so haben wir der Bezirksregierung angeboten, ukrainische Familien aufzunehmen, die sich treffen, reden und diese schwierige Situation ansprechen können.

Wie und welcher Art von Flüchtlingen hilft die Heilsarmee?
Wir haben Lehrer kontaktiert, damit sie ukrainische Familien, die Unterstützung brauchen, zu uns in die Heilsarmee schicken können. Daraufhin begannen die Familien mit Kindern, zu uns zu kommen. Gott sei Dank erhielten wir eine grosse Sendung von der Heilsarmee aus der Schweiz mit Toilettenartikeln und allem, was sie brauchten. Wir hatten auch ein Lager mit unverderblichen Lebensmitteln, so dass wir diesen ukrainischen Familien helfen konnten. Die meisten von ihnen sind ungarisch-sprachig und kommen hauptsächlich aus einer Region, in der das Leben ohnehin nicht einfach ist. 
Die Fotos unten zeigen sechs Kinder aus Familien, die sich in grosser Not befinden. Wir konnten ihnen helfen, indem wir sie mit brandneuen Schulmaterialien für das neue Schuljahr versorgten.
Auch die Mitarbeitenden der benachbarten Einrichtung in Valaszút Háza leisten wertvolle Hilfe. Sie sind mehrmals nach Tiszabec an der Grenze zur Ukraine gereist und bieten Familien eine vorübergehende Unterkunft. Unsere Kirche hilft auch, wenn jemand zum Flughafen oder Bahnhof gebracht werden muss, um die Reise fortzusetzen. 
Wir erhalten viele Anfragen. Eine zum Beispiel von einer Roma-Familie aus Transkarpatien (Ukraine), die sich hier in Ungarn in einer fast hoffnungslosen Lage befindet. Wir versuchen, ihnen so gut wie möglich zu helfen.

Welches ist die grössere Herausforderung: diese Familien finanziell oder spirituell zu unterstützen?
Beides ist gleichermassen wichtig. Die Familien, die vor dem Krieg fliehen, sind traumatisierte Menschen, von denen viele an einer Grunderkrankung wie einer Panikstörung leiden, die durch die täglichen Sirenen von Luftangriffen noch verschlimmert wird. Sie kommen nicht einfach in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Ungarn, sondern vor allem, weil der Krieg psychisch extrem belastend ist. Jede und jeder bringt seine eigene Situation mit. Eine Mutter kam zum Beispiel mit einem ihrer kleinen Jungen. Sie kam aus einem Umfeld von Misshandlung, floh nebst dem Krieg auch vor ihrem gewalttätigen Ehemann, musste aber ihr anderes Kind zurücklassen. Sie weiss nicht, ob es lebt oder tot ist – es ist unvorstellbar, dass eine Mutter mit so etwas konfrontiert ist.

Welche Pläne haben die ukrainischen Familien, die nach Budapest geflüchtet sind?
Man kann nicht generell sagen, dass alle Familien ihre Zukunft in Ungarn planen. Viele Familien kommen aber aus armen Gegenden in der Ukraine und hoffen daher, in Budapest neue Möglichkeiten zu finden. Meiner Erfahrung nach hat Ungarn jedoch seine eigenen «Obdachlosen», und die Verbesserung ihres Lebens erfordert bereits viel Einsatz. Wer also aus der Ukraine kommt und denkt, dass sein Leben hier besser sein wird, wird zwangsläufig enttäuscht werden.

Welche Möglichkeiten hat eine ukrainische Flüchtlingsfamilie in Ungarn?
Familien erhalten unter diesen Umständen viel Hilfe, z. B. können die Kinder dank der ungarischen Kinderschutzgesetze zur Schule gehen, was ihre Integration erheblich erleichtert, und die Eltern können Arbeit finden. Wenn sie nicht einfach abwarten, was passiert, sondern etwas tun wollen, um ihre Situation zu verbessern, finden sie hier, was sie suchen. Dazu brauchen sie allerdings Willenskraft und Durchhaltevermögen. 
Natürlich ist die grosse Frage, was mit den Familien in diesem Winter geschehen wird. Einige werden nicht einmal eine vorübergehende Unterkunft bekommen, weil in der Region, aus der sie kommen, kein Krieg herrscht und der Staat ihnen nicht helfen wird. Es gibt auch diejenigen, die trotz Arbeit keine Gehaltszahlungen erhalten haben und daher mit der Zahlung ihrer Miete im Rückstand sind. Ganz zu schweigen von denjenigen, die sich bereits in einer schwierigen Lage befinden und nun aufgrund der steigenden Energiepreise vor noch grösseren Herausforderungen stehen. Und leider mussten mehrere Sozialämter schliessen, weil sie Rechnungen nicht bezahlen konnten, was sehr schmerzhaft ist, da sie es sind, die den am meisten gefährdeten Menschen helfen. Wer weiss, was mit diesen Menschen passiert?

Die Heilsarmee lässt die Familien auf der Flucht jedoch nicht im Stich. Wir werden sie weiterhin so gut wie möglich unterstützen.

 

Autor
Majorin Andrea Gazsó, Korps Rákoscsaba, Heilsarmee Ungarn

Publiziert am
24.10.2022