Als Christ wirken hinter Gittern - NEU mit Videointerview

Als Christ wirken hinter Gittern - NEU mit Videointerview

© Sébastien Goetschmann / Limitierte Rechte

Am Samstag, 6. April 2019, fand der Infotag des Heilsarmee-Gefängnisdienstes im Saal des Korps Bern statt.

 

Anlässlich dieses Infotages, an dem rund 50 Personen teilgenommen haben, stellte Majorin Hedy Brenner den Gefängnisdienst vor, den sie leitet und der aktuell aus acht Personen besteht. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl Besuche stetig gestiegen (über 3000 im 2018), während die Anzahl Teilnehmer an den Gefängnis-Gottesdiensten eher abgenommen hat. Seit seiner Gründung vor rund 100 Jahren ist der Zweck des Gefängnisdienstes immer derselbe geblieben: Brücken zu bauen zwischen den inhaftierten Personen und ihren Familien, aber auch zur Gesellschaft und zum Arbeitsmarkt.

Die Arbeit in den Haftanstalten
Arnold Lauber, Mitglied des Gefängnisdienstes seit drei Jahren, schilderte die Arbeit in den Gefängnissen als faszinierende Tätigkeit, die es erlaubt, Insassen kennenzulernen, die aber manchmal auch grosses Leid mit sich bringt. „Glücklicherweise haben wir die Möglichkeit, alles bei Gott abzuladen. Dennoch kann es sein, dass uns manchmal gewisse Schicksale verfolgen. Im Gefängnisdienst zu arbeiten ist manchmal auch frustrierend, weil wir etwas an-fangen, was wir nicht zu Ende führen können. Ich bitte oft meine Angehörigen und Freunde, für mich zu beten, damit ich zum Kern der Sache vordringen und mein Gegenüber dort treffen kann, wo sein Leid und seine Bedürfnisse sind. So schnell ist es passiert, dass man daran vorbeigeht.“

Im Anschluss daran wurde am Infotag eine Reportage über die Haftanstalt für Frauen in Lübeck (Deutschland) gezeigt. Im Bericht kamen Justizvollzugsbeamte, aber auch Inhaftierte zu Wort, um eindrückliche persönliche Zeugnisse abzugeben.

Marianne*, auch sie eine Besucherin von Haftanstalten und Justizvollzugsverantwortliche, gab zahlreiche Erklärungen zum System der Vollzugsarbeiten und den verschiedenen Vollzugsmassnahmen. Sie sprach vor allem über die verschiedenen Aspekte der Arbeit mit den Inhaftierten, die einen zweifachen Auftrag darstellen: Es müssen Regeln eingehalten, Zellen auf Drogen durchsucht, Abstinenzkontrollen etc. durchgeführt werden. Gleichzeitig muss eine Vertrauensbeziehung aufgebaut werden, um mit den Inhaftierten den gerichtlich verfügten Vollzugsauftrag durchzuführen, später Austrittsvorbereitungen zu treffen, eine  Wohnung zu finden, eine Berufslehre oder eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu absolvieren. Wichtigste Aufgabe ist die Zusammenarbeit mit externen Stellen wie den Einweisenden Behörden, den Sozialämtern, Invalidenversicherungen oder den Migrationsbehörden.

„Es ist vor allem anderen eine soziale Arbeit, in der persönliche Beziehungen eine grosse Rolle spielen. Ich verbringe viel Zeit mit Zuhören, um mein Gegenüber zu verstehen, um es durch alle Progressionsstufen bis hin zur Entlassung in die Freiheit zu begleiten.“ Tatsächlich ist es sehr wichtig, die Natur des Delikts, die Häufigkeit der Delikte und die Gründe zu verstehen, um den Deliktkreislauf aufzuarbeiten und einen Ausgang zu finden.

Aus dem Deliktkreis heraustreten
Ein weiteres Thema, das am Infotag angesprochen wurde, betrifft die Rückfallgefahr. Diese steigt in erheblichem Masse, wenn die Delikte mit dem Konsum von oder dem Handel mit Drogen zusammenhängen. Für viele Personen, insbesondere für Migranten, ist es viel einfacher, schnell Geld zu verdienen, wenn sie mit Drogen handeln, als wenn sie einer ehrlichen und stabilen Arbeit nachgehen würden. „Und es gibt eine weitere Problematik“, sagte Marianne. „Selbst wenn wir Firmen finden, die bereit sind, ehemalige Häftlinge einzustellen, so ist das Bildungsniveau in den Haftanstalten doch eher tief.“ Majorin Hedy Brenner fügt an, dass es Angebote der Heilsarmee wie travailPLUS gibt, die sich genau an solche Personen richten und Programme zur Wiedereingliederung in die Arbeitswelt bieten.

Die Diskussion am Nachmittag des Anlasses, moderiert von Majorin Hedy Brenner, gab christlichen Mitarbeitern die Gelegenheit, von verschiedenen Berufen zu berichten, die sie in den Haftanstalten ausüben. Thema der Diskussion war: „Als Christ wirken hinter Gittern.“

Nähe und Distanz
Cornelia ist Krankenschwester in der Überwachungsstation eines Spitals. „Weil ich mit potentiell gefährlichen Utensilien wie Nadeln hantiere, muss ich Distanz wahren und Vorsicht walten lassen. Es ist also eher schwierig, sich auszutauschen. Aber manchmal reicht schon ein mitfühlender Blick, der Anlass zu einem Gespräch gibt. Oder ich kann still für die betreffende Person beten.“

Beat ist Justizvollzugsbeamter in einem Untersuchungsgefängnis und kümmert sich auch um Inhaftierte, die auf die Verlegung in eine andere Anstalt warten. Es ist nicht die gleiche Tätigkeit wie im Strafvollzug, weil es in U-Haft verboten ist, mit den Häftlingen Absprachen zu den vermuteten Delikten zu führen. „Es ist eine Herausforderung, das Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz zu finden. Es besteht eine permanente Grundspannung zwischen meinem Pflichtenheft und meinen persönlichen Überzeugungen. Die Atmosphäre in der Anstalt ist eher roh und lieblos. Und da wir im Besitz der Schlüssel sind, sitzen wir bereits an den Hebeln der Macht. Manchmal fühle ich mich schuldig, weil ich mich an diese Atmosphäre gewöhnen muss, mit dem Risiko, dass ich aus der Gruppe der Justizvollzugsbeamten ausgeschlossen werde. Meiner Meinung nach gibt es viel zu wenig positive Rückmeldungen, wenn sich die Häftlinge gut benehmen.“

Claudia besucht Häftlinge als Freiwillige Mitarbeiterin FM im Auftrag der Bewährungshilfe. Bei ihren Besuchen stehen die Delikte nicht im Zentrum. Sie versucht vielmehr, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. „Ich versuche authentisch zu sein und mich auch emotional einzulassen. Ich stehe den Häftlingen oft sehr nahe, und es kommt vor, dass einige dieser Personen Freunde werden. Oft halte ich den Kontakt auch ausserhalb des Gefängnisses aufrecht, beispielsweise in den Sozialen Medien.“

Ist es möglich, den Glauben zu teilen?
Für Claudia liegt es nicht drin, zu missionieren. „Ich führe meine Gespräche auf natürliche Art und ergreife erst die Gelegenheit, wenn das Thema Glaube von selbst aufkommt. Ich hatte das Glück, eine Frau zu begleiten, die mich schon beim ersten Treffen fragte, woher ich meine Kraft und meine Gelassenheit beziehe. So konnte ich von meinem Glauben sprechen, von der Hilfe, die mir der Heilige Geist gibt. Sie bekehrte sich und liess sich im Gefängnis taufen.“

Marianne hat bisher schon ganz verschiedene Aufgaben in Haftanstalten übernommen, zuerst als Verantwortliche im Strafvollzug und jetzt als Mitglied des Heilsarmee-Besuchsdienstes. „Am Anfang war es nicht bekannt, dass ich gläubig bin. Man merkte es höchstens an meiner Haltung, die ich lebe und durch welche ich meinen Glauben vermitteln konnte. Jetzt ist er nicht mehr verborgen, was manchmal aber auch schwierig ist, denn Christen sind nicht immer gern gesehene Gäste in den Haftanstalten. In Gefängnissen zu arbeiten macht demütig und dankbar, in vielen extremen Situationen bleibt nichts anderes übrig, als mich auf meinen Glauben zu stützen.“

Der Infotag bot auch Gelegenheit, Majorin Hedy Brenner zu danken, die den Gefängnisdienst seit zehn Jahren leitet. Sie wird per 1. Mai in den Ruhestand treten, den Dienst jedoch bis 31. August in Teilzeit leiten. Der Infotag ging zu Ende mit dem Segen von Arnold Lauber, der aus 1. Korinther 13,1 las: „Wenn ich in Sprachen der Menschen und der Engel redete, aber keine Liebe hätte, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ „Ich glaube verstanden zu haben, was Paulus in diesem Vers meint“, so Arnold. „Wenn ich wirklich lieben kann, dann ist das dank der Kraft des Heiligen Geistes. Und alles was ich brauche, ist einzig diese Liebe, die alles durchdringt.“

* Aus Gründen des Personenschutzes sind nur die Vornamen der Personen angegeben, die im Strafvollzug tätig sind.

Autor
Sébastien Goetschmann

Publiziert am
21.5.2019