Auf der Suche nach «Rohdiamanten»

Auf der Suche nach «Rohdiamanten»

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Major Severino Ratti (Heilsarmee Burgdorf) bringt mit seinem Lebensmobil die Kirche zu den Menschen und will wissen, wie es ihnen geht.

Sie sind in Burgdorf regelmässig mit der Heilsarmee-Uniform auf der Gasse anzutreffen. Weshalb?
Major Severino Ratti:
Menschen sind mir nicht gleichgültig. Jeder geht mich was an. So will ich den Leuten begegnen und ihre Geschichte kennenlernen; ich will verstehen, wo sie im Leben stehen. Deshalb gehe ich auf die Strasse, deshalb bin ich mit Menschen unterwegs.

Weshalb sind Ihnen Menschen am Rand der Gesellschaft wichtig?
Sie interessieren mich, weil ich selber ausgegrenzt war. Ich will hinschauen und für sie da sein. Es sind Rohdiamanten, welche nicht geschliffen sind. Aus ihnen kann Gott etwas Wunderbares machen. Deshalb sind für mich Menschen am Rand der Gesellschaft wertvoll.

Wie erleben Sie den Kontakt mit ihnen?
Die Kontakte sind ganz verschieden, je nach Geschichte der einzelnen Person. Manche lehnen mich in der Heilsarmee-Uniform sofort ab, weil sie nichts mit der Heilsarmee oder Christen generell zu tun haben wollen. Andere sind positiv eingestellt, weil sie in der Heilsarmee eine gute Sache sehen. So gibt es Begegnungen jeder Schattierung. Mir ist wichtig, den Menschen Respekt entgegenzubringen und sie verstehen zu lernen. Für mich gilt es auch, einzugestehen, dass ich manchmal «unmöglich» bin und anecke; aber gerade in dieser Unmöglichkeit kann ich anderen begegnen.

Viele scheuen den Kontakt zu ausgegrenzten Menschen. Ein Tipp, um Vorbehalte abzubauen?
Mir hilft es zu wissen, dass Jesus bei mir ist. Dies gibt Mut, Mut zum Risiko: Ich bin nicht allein. Weiter ist wichtig, die Menschen in ihrem Dasein anzuerkennen. Das öffnet den Zugang und schafft Vertrauen. Dann kann man über alles sprechen – den gestrigen Fussballmatch oder auch über Tieferes wie das Wort Gottes und damit den Sinn des Lebens. Hauptsache ist: Wenn sie merken, dass man mit ihnen Freud und Leid teilt, wird die Offenheit grösser und man wird zum Freund.

Wie geht man mit ihrer schwierigen Situation um?
Man muss nicht erschrecken, sondern erst recht hinhören, wie es zur Situation gekommen ist. Einige bringen eine oft dramatische Geschichte mit.

Seit einiger Zeit sind Sie mit einem Wohnmobil unterwegs. Weshalb?
Vor 70 Jahren fuhr die Heilsarmee mit einem Zirkuswagen von Hof zu Hof. Dies hat mich inspiriert. Ich wollte – auch mit dem Hintergrund meiner Erfahrungen in der Strassenarbeit – so etwas in moderner Form wieder starten. Es geht darum, die Ursprungsidee der Heilsarmee zu stärken: zu den Menschen gehen und Kirche der Strasse sein. Es geht auch darum, als Heilsarmee sichtbar zu sein.

Weshalb ein Wohnmobil?
Ein Wohnmobil ermöglicht vieles: Man kann draussen sitzen, wenn es warm ist, bei schlechtem oder kaltem Wetter drinnen am Tisch. Es bietet einen geschützten Rahmen, wo persönliche Gespräche möglich sind, bestimmte Themen angesprochen werden können und wo man beten kann. Zudem weckt das Wohnmobil Neugier und Interesse der Leute.

Das Fahrzeug heisst Lebensmobil. Weshalb dieser Name?
Es geht darum, Leben zu teilen, wie bei der Strassenarbeit generell. Wir gehen mit einem Wohnmobil zu den Menschen auf die Strassen und Plätze und nehmen an ihrem Leben teil. Wir wollen Lebensqualität fördern, auf besseres Leben aufmerksam machen. Und wir wollen den Leuten auch ermöglichen, ein neues Leben in Jesus Christus zu beginnen.

Was sind die Herausforderungen?
Es ist gar nicht so einfach, die Bewilligung der Behörden zu kriegen, mit dem Lebensmobil im öffentlichen Raum aktiv zu sein. Gesetze und Regelungen erschweren dies. Es gilt, viele bürokratische Hürden zu meistern. Zudem ist das Angebot auch innerhalb der Heilsarmee noch zu wenig bekannt. Gerne lasse ich mich samt Lebensmobil für Einsätze anderswo «mieten». Es soll ein Multiplikationseffekt stattfinden.

Autor
Thomas Martin, Quelle: Livenet.ch

Publiziert am
4.4.2019