Auffangbecken mit Sprungbrett

Auffangbecken mit Sprungbrett

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Trotz Aussicht aufs sonnige Dreiländereck stehen die Menschen im Heilsarmee Männerwohnhaus Basel nicht auf der Sonnenseite des Lebens.

Franzl K. - »Ich möchte meinen Namen nicht in ganzer Länge in der Zeitung lesen« - wurde das Männerwohnhaus der Heilsarmee in Basel zum Glücksfall. So sehr, dass er fürs Sommerfest zur Melodie von »Hotel California« ein Dankeslied komponiert hat. Franzl, ein waschechter Tiroler, war in seinem »alten« Leben Berufsmusiker. »Du glaubst mors net?« Und schon hält er sein Handy in der Hand und zeigt Fotos, auf denen er mit den legendären »The Gypsies«, mit Roberto Blanco oder Harald Juhnke zu sehen ist.

Alles Vergangenheit, denn »falsche Freunde und Fehlinvestitionen haben zu meinem Zusammenbruch geführt«, erzählt Franzl. Im Rollstuhl habe er gesessen, nun stehe er wieder aufrecht da. Seither investiert Franzl in Betreuer und Hausbewohner - musikalisch: seine neue Band heisst »Groovties« und spielt zum Fest auf »Mister Tambourine Man« tönt beim Soundcheck richtig groovig und überzeugend. Vier E-Bässe werden bearbeitet, die Stimmen geölt.

Planung auf Zusehen
Weniger überzeugt ist die Bereichsleiterin des Männerwohnhauses, Sandra Breiter, ob sie die angekündigte Ansprache wirklich halten will. Die Boote, mit denen »ihre« Männer eine Ausfahrt ins Hafenbecken unternommen haben, sind noch nicht zurück, »der Zeitplan ist jetzt schon durcheinander«, stellt sie fest. Sie nimmt es locker. Auch das Wetter ist nicht planmässig.

Regenwolken hängen am Himmel und ein kühler Wind weht. »Wir werden wohl im Speisesaal essen«, prophezeit sie, doch auch das wird so nicht eintreffen. Dafür treffen die Boote ein. Das Haus füllt sich mit Leben, ein Bewohner mit Rotwein. Im Hause gilt ein striktes Alkoholverbot, weshalb sich der Mann auf eine Bank am Rhein setzt. Das Festessen kann er nicht geniessen, denn kurze Zeit später kippt er von der Festbank und wird ins Zimmer gebracht.

Auch eine Realität im Männerwohnhaus der Heilsarmee. 44 Kunden sind derzeit angemeldet, das Haus fast voll belegt. Menschen zwischen 18 und 82 Jahren. Jugendliche, die mit einer Anlehre versuchen, ins Leben zurückzufinden. Betagte Männer, die zum Teil seit Jahrzehnten zum Stamm der »Belegschaft« zählen.

(Streu-)Würze des Lebens
Ein Blick in ein Zimmer zeigt, dass nur wenig Persönliches Platz findet. Zwei Betten, zwei Schränke, vor jedem Bett ein weisses Rolltischchen, ein Kästchen mit Vitrine, das Lavabo und über jedem Bett eine kleine Holzbox für persönliche Gegenstände. Bücher stapeln sich in einer, viele Blätter... und ein Döschen Aromat - Würze eines Lebens? Wenn schon die Aussichten mancher Bewohner nicht eben rosig sind, so ist es der Blick aus dem Fenster. Das Münster thront auf der Pfalz, die stattlichen Häuser in Reih und Glied bis hinunter zur Mittleren Brücke, der träge dahinfliessende Rhein. Basel vom Feinsten.

Fein ist auch das, was vom Koch auf den Grill gelegt wird. Das Essen findet definitiv draussen statt, die Würste und Fleischstücke krümmen sich über der Hitze, verschiedene Salate stehen bereit - die Männer des Wohnhauses ebenfalls. Diszipliniert in Einerkolonne. Sie trotzen der Kälte der Witterung und des Lebens. Dem Franzl kanns egal sein, denn seine Band steht bereit - im Aufenthaltsraum. Ein Zimmer mit zusammengewürfeltem Mobiliar, ein Abbild der Menschen, die hier leben, gleichermassen eine bunte Mischung.

Ein »Töggelikasten« bereichert das Angebot an Unterhaltung. »Foul ihn, foul ihn!«, ruft ein Zuschauer aus Spass. Ein lautes, freudiges Lachen durchdringt den Raum, mit vielen Emotionen wird »Uno« gespielt, die Stimmung kommt hoch. In die Höhe sollen auch jene Ballone, die noch an der Decke des Empfangsbüros kleben und deren Schnüre gerade mit Karten versehen werden. Ganz so einfach geht das aber nicht, denn bis die Ballone im Freien sind, haben sich die Schnüre ineinander verheddert. Nach und nach steigen die mit Helium gefüllten Gummiblasen dem Himmel zu in eine unbekannte Zukunft. Zwar der Willkür des Windes ausgesetzt, aber nicht namenlos.

Nicht mehr der Willkür des Lebens überlassen werden die Männer im Wohnhaus der Heilsarmee. »In den vergangenen Jahren hat sich der Betrieb immer mehr professionalisiert«, erzählt Sandra Breiter. Das reicht von der Taschengeldverwaltung über Pflegedienstleistungen und Seelsorge bis zur Hilfestellung bei Behördenkontakten oder der Wohnbegleitung. Auch personell sind heute alles ausgebildete Fachkräfte. Eine Auffrischung hat auch die Küche erfahren, wo drei Köche und eine Küchenhilfe die Mahlzeiten fürs Männer- wie auch fürs Frauenwohnhaus zubereiten.

Etwas »Moderne« auch in den Zimmern. Sie verfügen über einen Internetanschluss und seit kurzem auch über WLAN, wenns denn funktioniert. »Ich komme wieder nicht ins Internet.« Die Stimme des älteren Herrn klingt leicht enerviert. »Sie müssen sich etwas gedulden, vielleicht sind zu viele in der Leitung«, erwidert Bereichsleiterin Sandra Breiter. So ist es. Keine Minute später schallt die Erfolgsmeldung durch den Flur. Ein Rufer hat sich auch ans offene Fenster seines Zimmers gestellt und schreit »Ruhe!« auf die Strasse hinunter, wo seine Kollegen eifrig »gschpröchle« und sich am Essen gütlich tun.

In der Stadt akzeptiert
Keine wesentlichen Reklamationen bekommen die Leute des Männerwohnhauses von der Anwohnerschaft zu hören. »Das Männerhaus und seine Bewohner sind hier akzeptiert, gehören ins Quartier«, sagt Thomas Baumgartner, Gesamtleiter Wohnen der Heilsarmee. Einzelne Bewohner erlangten sogar lokale Berühmtheit, wie beispielsweise Urs, der in der Stadt die Menüs der Restaurants ausrief, ein Stellböcklein des Verkehrsdienstes als Megaphon nutzend. Er brachte es sogar zu einem Werbespot: »Sags em Urs«, lautete dieser, denn was Urs verkündete, wurde gehört.

Es ist nach 20 Uhr. Die angekündigte Ansprache bleibt ungehört, weil nicht gehalten. Das passt indes ganz gut ins Bild, das man als Beobachter von diesem Ort erhält. Vieles muss hier spontan und manchmal unkonventionell organisiert und durchgeführt werden. Denn nicht der gewünschte Terminplan gibt zwingend den Takt vor, sondern die Launen des Lebens. Die Sonne hat sich mittlerweile hinter den Tempeln der Chemie im Westen verabschiedet, es wird merklich kühler. Drinnen sorgen die »Groovties« für heisse Rhythmen, draussen hat der heisse Grill für satte Mägen gesorgt.

Eigentlich wäre jetzt die beste Zeit für eine Ansprache, wenn man dem Heilsarmee-Motto auf der Homepage des Männerwohnhauses Glauben schenkt: »Einem hungrigen Magen ist nicht gut predigen.«

Autor
Quelle: Aufbruch (29.11.2018)

Publiziert am
29.11.2018