Der Sprache Seele einhauchen

Der Sprache Seele einhauchen

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Leserbrief zum Leitartikel "Kreativität im Alltag - befähigt durch den Geist Gottes" von Philipp Steiner im DIALOG 06/2019 (S. 3)

Wie Philipp hätte ich auch nicht von mir behauptet, eine Künstlerin zu sein. Schliesslich bin ich Übersetzerin, keine Schriftstellerin! Einen grossen Teil meines Lebens war ich Lobpreis-Leiterin, aber keine Komponistin.

Während das Thema Lobpreis gut mit der Kunst verknüpft werden kann, obwohl nicht jeder Musiker selber neue Lieder kreiert, scheint das mit dem Übersetzen absurd. Der Schreibende muss nichts erfinden, sondern nur weiterleiten. Dafür hat man das Wörterbuch (und spezielle Webseiten, die ich hier nicht nennen möchte).

Die Musikinstrumente können kaum von sich selber gespielt werden, und wenn doch, dann fehlt es doch irgendwie an dem Schöpferischen, an der «Seele». Die Musik braucht den Menschen, der sie spielt und interpretiert. Wie Philipp festgestellt hat, können eigentlich alle Künstler sein – in ihrem Lebens- und Berufsalltag.

Wie ich festgestellt habe (und wie hoffentlich noch andere feststellen werden), kann man auch das Übersetzen sehr gut mit Kunst verbinden. Einzelne Wörter, Ausdrücke, sogar Sätze können auf Knopfdruck übersetzt werden. Einzelne Töne und Musikstücke können auch so erzeugt werden. Würde man aber mit den künstlichen, im Keyboard gespeicherten Musikstücken ein Konzert geben, würde Einiges fehlen: Auch der Mensch, der die Musik interpretiert, wird zum «Schöpfer» und gibt dem Musikstück eine «Seele». Das ist mein Stichwort: Übersetzt man einen Text, indem man maschinell vorgeschlagene Formulierungen zusammen anordnet, fehlt Etliches: Auch der Mensch, der die Sprache interpretiert, wird zum «Schöpfer» und macht den Text lebendig. Das kann auch bei scheinbar ganz harmlosen Zeilen anfangen.

Dabei – nicht unähnlich eines Brass-Arrangeurs – muss der Übersetzer oft zahlreiche Optionen sortieren, immer auf der Suche nach der passenden Formulierung, welche die richtigen Wörter zu wählen, den ursprünglichen Inhalt zu verstehen, die eigentliche Absicht des Autors zu respektieren, die Mentalität der verschiedenen Leser zu berücksichtigen und natürlich den eigenen Geschmack zu widergeben weiss – das alles mit einem speziellen Augenmerk auf das Produkt als Ganzes.

Als Übersetzerin brauche ich viele Werkzeuge – alte sowie neue. Mit einer Übersetzung künstlerisch tätig zu sein und Gott dabei zu ehren – das können diese Werkzeuge meiner Meinung nach nicht!

Crystel Müller ist Mitglied im Korps Biel, Übersetzerin fürs Hauptquartier und sich bewusst, dass der Vergleich Musik/Übersetzung nicht perfekt und das Gespräch darüber noch lange nicht abgeschlossen ist.

Autor
Crystel Müller

Publiziert am
15.4.2020