Die Bibel als therapeutisches Modell

Die Bibel als therapeutisches Modell

Die „Leitlinien christliche Soziale Arbeit“ sollen innerhalb der sozialen Institutionen der Heilsarmee für Klarheit und Sicherheit sorgen.

Die Redaktion sprach mit Daniel Röthlisberger, Leiter Abteilung Sozialwerk.

Was gab Anlass zur Erarbeitung der Leitlinien christliche Soziale Arbeit? 

Daniel Röthlisberger: Als Vorstandsmitglied der CISA (Christliche Institutionen in der Sozialen Arbeit) führe ich Gespräche mit anderen christlichen Institutionen in der Sozialen Arbeit. Dabei steht oft die Frage im Raum: Was ist christliche Soziale Arbeit? Ich beschloss, diese Frage innerhalb der Heilsarmee zu beantworten, die ja eine sehr grosse Spannweite von sozialen Institutionen und Prägungen besitzt. Von den Leitlinien können nicht nur wir selbst, sondern auch andere profitieren. Die Heilsarmee soll ihre Führungsrolle solidarisch wahrnehmen und die Ressourcen, die sie von Gott bekommen hat, auch kleineren Werken zur Verfügung stellen.

Wie werden christliche Themen praktisch in die Soziale Arbeit integriert? 

Rituale wie Gebetsmomente und kleine Andachten anzubieten oder auch einen separierten, jederzeit zugänglichen Raum der Stille ‒ dies sollte in unseren Institutionen eine Normalität sein. Aber auch in den Gesprächen müssen christliche Inhalte zum Vorschein kommen. Versöhnung soll ein Punkt sein, mit dem unsere Fachleute arbeiten. Schuld, Versöhnung und Wiederherstellung sind Teile eines Prozesses, mit dem wir in unseren Klienten Transformation erwirken wollen. In diesem Zusammenhang versuchen wir, biblische Konzepte als mögliche Lösungsvarianten in die Gespräche hineinzubringen. Den Entscheid, ob jemand diese annehmen will, ist dann aber sehr persönlich und freiwillig. Es gibt viele therapeutische Modelle. Meine Vorstellung ist, dass die Bibel unser therapeutisches Modell ist. Vergebung ist möglich und es gibt Wege, wie man Beziehungen wiederherstellen kann – zu Gott, zu den Mitmenschen, zu sich selbst.

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus. Die Leitlinien christliche Soziale Arbeit jedoch fassen Spiritualität viel weiter. 

Die Wissenschaft spricht allgemein davon, dass der Glaube an etwas Höheres dem Menschen hilft, über Krisen hinwegzukommen. Spiritualität ist eine Ressource, die wir in der Sozialen Arbeit nutzen. Dabei gilt es, andere Religionen zu akzeptieren. Innerhalb unserer Institutionen werden wir aber unsere christliche Identität als Leitkultur definieren. Wir können das Christentum anbieten und vorleben, aber verteidigen müssen wir es nicht. Mein persönlicher Glaube sagt mir, dass Jesus sich dort durchsetzen wird, wo die Zeit dafür gekommen ist. Alles andere können wir nicht beeinflussen, das wäre Bevormundung und würde dem Leitbild der Heilsarmee nicht entsprechen. Jeder Mensch soll suchend werden und am Schluss selber entscheiden, was für ihn das Richtige ist. Wenn unser Zeugnis etwas wert ist, dann sollte es für sich selbst sprechen.

Was geschieht, wenn Mitarbeitende in den Institutionen den christlichen Leitlinien kritisch gegenüberstehen? 

Dieses Papier wird bei vielen Leuten etwas auslösen. Vielleicht werden es einige nicht mittragen wollen. Ich erwarte Widerstände, und das ist gut, denn es muss eine Auseinandersetzung stattfinden. Kritik kann aber auch von aussen kommen, etwa dann, wenn ein Kanton sagt: Dies ist ein säkularer Staat, und jetzt kommt die Heilsarmee mit einem solchen Papier, das geht doch nicht! Dennoch müssen wir diesen Weg konsequent gehen ‒ weil wir die Heilsarmee sind, weil dies unser Erbe ist, weil ich davon überzeugt bin, dass die christliche Orientierung der richtige Weg ist. Alles was verwässert ist, hilft uns nicht weiter. Es ist die Kraft Gottes, die Menschen verändert, daran müssen wir festhalten. Wir wollen ja nicht einfach nur Mahlzeiten und Medikamente abgeben, sondern auch sehen, dass Menschen sich verändern ‒ und zwar nicht erst im Himmel, sondern schon jetzt. Das ist mein Traum.

Diese Leitlinien streben innerhalb des Sozialwerks einen Kulturwandel an. Wie kann dies geschehen? 

Damit die biblischen Konzepte in die therapeutische Arbeit unserer Institutionen einfliessen, werden wir diese Leitlinien auch schulen. In der Vergangenheit hat man die Leitkultur den Institutionen überlassen, weil man davon ausging, dass klar war, welche Werte die Heilsarmee vertritt. Allerdings ergaben sich mit der Zeit je nach Prägung der führenden Fachpersonen jeweils andere Kulturen. Jetzt will die Heilsarmee die Leitkultur vorgeben. Um Standards in diesem Bereich festzusetzen, planen wir als Zukunftsperspektive auch die Erarbeitung eines christlichen Labels. Wir werden es schulen, zusammen mit ICP (Institut für christliche Psychologie), das uns auch beim Entstehungsprozess der Leitlinien begleitet hat. Diese wurden von einem interdisziplinären Gremium aus Heilsarmee-Offizieren, Sozialarbeitern, Sozialpädagogen, Theologen, Psychologen sowie Migrations- und Kommunikationsprofis erstellt. Wir haben nach Wörtern gerungen, die verständlich sind, und bewusst auf Bibelverse verzichtet, um auch glaubensferne Zielgruppen nicht vor den Kopf zu stossen. Das war spannend, aber auch sehr herausfordernd.

 

Zur Information: Leitlinien christliche Soziale Arbeit: zu Inhalt und Zielen 

Das 33-seitige, im Auftrag des Sozialwerks erabeitete Manual richtet sich an die Mitarbeitenden der sozialen Institutionen sowie an externe Ansprechgruppen. Die Leitlinien verfolgen zwei Ziele: Zum einen wird praktisch angeleitet, wie Spiritualität als Ressource in der Sozialen Arbeit genutzt werden kann. Zum anderen wird die Soziale Arbeit der Heilsarmee auf das Fundament der christlichen Spiritualität gestellt, welche gleichzeitig definiert wird. Grundlegende Werte der christlichen Sozialen Arbeit wie auch diesbezügliche Gefahren und Risiken werden eingehend besprochen. Das sowohl wissenschaftlich als auch theologisch fundierte Werk enthält desweiteren methodische Handlungsansätze, Beispiele aus der Praxis und Reflexionsfragen. Die Darlegung eines konkreten Falls bettet zum Schluss alle Elemente in die ergiebige Lebensgeschichte einer Klientin ein. So spricht die gut lesbare Arbeit nicht nur das Hirn, sondern auch das Herz an.

Autor
Livia Hofer

Publiziert am
10.4.2018