Die Heilsarmee verlässt das Zirkuszelt

Die Heilsarmee verlässt das Zirkuszelt

Das Korps Aargau Süd zügelt in den Neubau in Reinach. Die Gemeinden profitieren von der Sozialarbeit der Organisation.

Seit 1891 wirkt die Heilsarmee im Wynental, zunächst in Gontenschwil, seit 120 Jahren in Reinach. Nun hat sie an der Wiesenstrasse gebaut - neu mit einem grossen Brockenhaus. Am Samstag ging die Derniere im Zirkuszelt an der Stumpenbachstrasse über die Bretterbühne. Das Zelt reist bald weiter nach Leutwil, wo die Zirkusschule Capriola Zirkustrainings und Kurse für Kinder anbietet. Die Heilsarmee als «erste Einsatztruppe» An der letzten Vorstellung im Zelt waren die Salutisten unter der Leitung der Majore Katharina und Peter Hauri - seit gut zwei Jahren im Amt - nicht die einzigen Uniformträger: Auch der regionale Polizeichef Dieter Holliger kam in der Berufskluft.

Ein Zeichen der funktionierenden Vernetzung im Sozialbereich. Denn da ist die Heilsarmee über die seelsorgerische Tätigkeit hinaus für die Öffentlichkeit tätig. «Eine ungeheure Hilfe im Hintergrund, die man, wenn mans nicht weiss, gar nicht so wahrnimmt», sagt Gemeindeammann Martin Heiz. Er spricht die Notschlafstelle an, aber auch die Lebensmittelverteilung an Bedürftige. «Eine erste Einsatztruppe mit eigener Sozialarbeiterin», nennt er die Heilsarmee anerkennend.

Der Schaltjahrtag ist Tag der offenen Tür
Ab dem 10. November wird die Heilsarmee ihre Tätigkeit im Neubau an der Wiesenstrasse 8, zwischen WSB-Trassee und Garage Blöchliger, aufnehmen. Die offizielle Einweihung mit Kaffee, Kuchen und Kasperlitheater erfolgt am 29. Februar 2020. Die Heilsarmee hat 8,8 Millionen Franken in den Neubau investiert.

Finanziell beteiligt ist die Stiftung Heilsarmee Schweiz. Dazu kommen Spenden, Legate und der Verkauf des Grundstücks an der Stumpenbachstrasse. Die Heilsarmee Aargau Süd umfasst, so Katharina Hauri, etwa 50 Salutisten in Uniform, die sich des Alkohols und des Rauchens enthalten, sowie etwa 60 Freunde. «Wenn wir nicht trinken, heisst das nicht, dass wir jemandem sein Bierchen nicht gönnten», sagt sie und verweist auf die Geschichte der Heilsarmee, die im 19. Jahrhundert in England das Elend gesehen hat, das der Alkoholismus verursacht.

Auch die Uniform ist England geschuldet: Sie macht gleich. Wie in Englands Schulen noch heute. Muslime besuchen auch Heilsarmee - Gottesdienste «Suppe, Seife, Seelenheil» - das ist das Motto der Heilsarmee-Arbeit. In Reinach heisst das Lebensmittelabgabe, Notschlafstelle, begleitetes Wohnen. Da arbeitet die Heilsarmee mit der Gemeinde zusammen.

Und die Seelsorge, eine rein christliche Angelegenheit? «Es kommen auch Muslime zu uns, sogar an unsere Gottesdienste, vor allem Menschen aus dem Nahen Osten: Irak und Syrien», sagt Katharina Hauri. Dem Bau der geplanten neuen Moschee gegenüber ist sie positiv eingestellt: «Das ist ihre Religion; sie sind so aufgewachsen.» An der letzten Vorstellung im Zirkuszelt ist auch Björn Marti samt Ehefrau und zwei Hunden dabei. Er hat vor neun Jahren das Zirkuszelt aus Hamburg ins Wynental geholt. Und, so Peter Hauri, der Heilsarmee Aargau Süd «die heutige Ausrichtung» gegeben. Im launigen Gespräch zwischen Björn Marti und Martin Heiz erfährt man Interessantes auch über Heizungsprobleme, Schneeräumung und eine Invasion von Flugameisen. Schmunzelgeschichten. Etwa, wie ein Grossverteiler der Heilsarmee die Topfkollekte auf ihrem Gebiet zunächst verboten, später aber, nachdem das ruchbar wurde, darum gebeten habe, eine Bewilligung geben zu dürfen.

Brockenhaus, Büroräume, Saal, Notschlafstellen
Der Neubau umfasst einen Teil für das Korps der Heilsarmee, mit Lager und Technik etwa 1100 Quadratmeter Fläche.

Am meisten Platz nimmt das neue Brockenhaus ein, dessen Erlös in die soziale Arbeit fliesst: 1350 Quadratmeter Verkaufsfläche, dazu Lager, Büro, Aufenthaltsraum, Garderoben. Ein Saal, vor allem für Gottesdienste, bietet mit Foyer und Cafeteria Sitzgelegenheiten für 60 bis 150 Personen. Dazu kommen Büroräume für Seelsorge, Sozialberatung und Lebensmittelabgabe sowie die Wohnung für den Gemeindeleiter mit Familie und eine Wohnung für begleitetes Wohnen. Die Notschlafstelle wird neu zwei Personen Platz bieten statt nur einer. An der Abschiedsfeier vom Zirkuszelt gabs musikalische und clowneske Unterhaltung, aber auch ein feines Menu aus der Heilsarmee-Küche von Dimitri Tedesco.

Peter Hauri, Reitnauer und nach Abstechern nach Ecuador, wo er mit seiner Frau ein Frauenhaus aufgebaut hat, im Wynental heimisch geworden, liess es sich nicht nehmen, eine Predigt zu halten mit klarem christlichem Bekenntnis, doch: «Wir helfen jedem Menschen, egal, welchen Status oder Glauben er hat.» Die Botschaft steht auch auf dem Auto: «Hoffnung nötig? Besuchen Sie uns.»

Autor
Quelle: Aargauer Zeitung (28.10.2019)

Publiziert am
30.10.2019