Heilsarmee als Weihnachtsengel

Heilsarmee als Weihnachtsengel

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Der Einsatz für Obdachlose hat in Tschechien Tradition.

Prag, die «Goldene Stadt», ist ein beliebtes Reiseziel in den Weihnachtsferien. Niemand versäumt dort einen Besuch der «Karlsbrücke» über die Moldau: Von dieser bietet sich ein besonders schöner Blick auf den Prager Burgberg mit seinen Kirchen und Schlössern. Doch kaum jemand schaut zu den Obdachlosen unter der Brücke. Nur die Heilsarmee tut das.

Die Zahl der Obdachlosen in der Tschechischen Hauptstadt wird diesen Winter auf über 4'000 geschätzt. Oft müssen halb Erfrorene unter den Brücken und aus Parks weggetragen werden. Daher hat die Heilsarmee vor Weihnachten eine zusätzliche Schlafstelle im Vorort Michle eröffnet. Diese befindet sich in einem leerstehenden Gebäude der Tschechischen Bahn. Bis Ende März steht das Notquartier täglich von 20.30 Uhr abends bis 7 Uhr morgens offen. Es bietet in Stockbetten und einfach eingerichteten, aber gut geheizten Räumen 130 Personen Platz, davon 30 Frauen. Die Obdachlosen erhalten warmen Tee und Brot, können sich waschen und ein Krankenpfleger ist vor Ort. Wer beim Sauberhalten des Gebäudes und des umliegenden Areals mitmacht, erhält zusätzliche Lebensmittel.

Die Heilsarmee konnte diese blitzschnelle Rettungsaktion nicht allein bewältigen. Sie hat daher die Zusammenarbeit mit Caritas und tschechischen Freikirchen gesucht. Das hat in Prag Tradition. Vor allem, was die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder angeht. Ihr Vorläufer im 14. Jh., Jan Milic von Kremsier, galt schon der Heilsarmee als Vorbild.

«Neues Jerusalem» in Prags Altstadt
Der um 1320 geborene Milic war Erzdiakon des Prager Bistums. Er wollte sich weder mit den Missständen der Katholischen Kirche noch dem Elend in den Gassen der Stadt abfinden. So gründete er eine Reformgemeinde «Neues Jerusalem». Da gab es wie in der Urkirche keine Schranken zwischen Klerus und Volk, die Besitzenden teilten mit den Bedürftigen, für die Obdachlosen wurden 29 Häuser gebaut und auch den Prostituierten wurde geholfen, von der Strasse und ihrem Gewerbe weg zu kommen. Prags hohe Geistlichkeit hatte nur für die Liebesdienste dieser armen Frauen «Huren-Pforten» an ihren Palästen gebaut. Diese Prälaten waren es auch, die Jan Milic als Ketzer verklagten. Er wurde zum Papst geschickt, der damals im französischen Avignon residierte. Milic starb dort jedoch 1374, bevor er den Foltern der Inquisition zum Opfer fiel.

Mit legendärem Polizeirat Drascher unterwegs
Sein Andenken war in Prag noch lebendig, als dort die Heilsarmee in der späten österreichischen Donaumonarchie Fuss fasste. Nach der tschechoslowakischen Unabhängigkeit von 1918 zog sie der für «Sitte und Soziales» zuständige legendäre Polizeirat Drascher für das Wirken unter Prostituierten und Obdachlosen heran. So berichtete der «rasende Reporter» jener Tage, Hans Egon Kisch.

Die Heilsarmee blieb jedenfalls im Bewusstsein der tschechischen Öffentlichkeit mit der Obdachlosenhilfe verbunden. Auch dann, als sie selbst zuerst von den Nationalsozialisten und ab 1950 von den Kommunisten unterdrückt wurde.

Die Uniformen im Schrank
Zuvor waren noch 1928 in Prag von Gründer William Booth die «Verordnungen und Regeln für Soldaten der Heilsarmee» auf Deutsch erschienen. Sie boten Soldatinnen und Soldaten Halt und Anleitung für heimliches Wirken während der Verbotszeit – nur die Uniformen hatten sie zu Hause im Schrank hängen. Es gibt Berichte von der Rettung von Juden und «asozialen Volksschädlingen» – wie die Hitlerpropaganda alle obdachlosen «Herumstreuner» einstufte – vor dem KZ. Während der kommunistischen Ära wurde der Heilsarmee wiederholt die Wiederzulassung um den Preis ihrer Gleichschaltung mit der KP-konformen «christlichen Friedensarbeit» angeboten. Führende Vertreter lehnten das jedoch standhaft ab und mussten es im Gefängnis büssen.

Neuanfang mit Suppe für Obdachlose
Gleich nach der Prager Wende im späten 1989 begann die Heilsarmee damit, in einer Wohnung wieder Suppe für Obdachlose zu kochen. Man wandte sich an die Niederlande um Beistand beim Neuaufbau in ganz Tschechien. In den nächsten 15 Jahren baute die Heilsarmee 29 Sozialzentren in neun tschechischen Städten auf. 150 Mitglieder, etwa 350 Angestellte und zahlreiche Freiwillige verwirklichten zwölf grosse Projekte, bei denen es bei weitem nicht nur um die Hilfe für Obdachlose, sondern auch um die Förderung von Minderheiten wie der Roma bei ihrer Integration in die Gesellschaft, um Programme für Jugendliche, Senioren oder für Mütter mit Kindern ging. Bedürftigen bot die Heilsarmee entweder nur Übernachtung oder aber die Unterkunft in einem Asylhaus bzw. in einer der sogenannten «Wohnungen auf dem halben Wege» an. Insgesamt verfügte die Heilsarmee 2005 über 800 Betten. Auf zwei von der Heilsarmee eingerichteten Farmen konnten Verurteilte alternative Strafen abbüssen.

Kongresse, Anerkennung und ein Kältewinter
In Anerkennung dieses Aufbauwerks fand 2005 ein Europa-Kongress der Heilsarmee in Prag statt. General John Larsson konnnte dazu 850 junge Mitglieder vom ganzen Kontinent begrüssen. Er freute sich, eine wachsende Hinwendung von Jugendlichen zur Heilsarmee festzustellen. Die Teilnehmer beschäftigten sich mit biblischen Themen und Fragen, die Alltag und Einsatz junger Christen betreffen.

Im Oktober 2012 kam der nächste Europa-Kongress mit dem Motto «Forward» («Vorwärts») wieder nach Prag. Generalin Linda Bond sprach von der internationalen Vision «Eine Armee, ein Auftrag, eine Botschaft». Es gab Präsentationen von Aktivisten der Heilsarmee in verschiedenen Ländern. Musikalisch wurde die Grossveranstaltung vom Chor «LivingSoul» umrahmt. 2013 wurde die Heilsarmee von der Tschechischen Republik statt wie bisher als «Verein» als «Kirche» anerkannt. Dann stellte sich ihr mit dem eisigen Winter 2013 die bisher grösste Herausforderung.

Keine Weihnacht ohne Herberge
Nachdem 23 Menschen auf der Strasse erfroren waren und sich andere in Autobussen und dem Tram einquartiert hatten, erklärte die Stadtverwaltung den öffentlichen Nahverkehr einfach zum Sperrgebiet. Ihre Zeltlager am Moldauufer boten kaum Schutz vor Kälte und Feuchtigkeit. Einzige Zuflucht war das damals einzige Asylhaus der Heilsarmee in einer ehemaligen Wäscherei, Notbetten wurden eingeschoben und Matratzen aufgelegt – doch immer noch mussten Menschen weggeschickt werden.

Das sollte zu dieser Weihnacht nicht mehr der Fall sein, nachdem auf einen bisher relativ milden Winter in Prag ein grosser Kälteinbruch bevorsteht. So hat sich die Heilsarmee diesmal mit den anderen Hilfswerken zusammengetan, um die bange Frage der vielen Herbergssuchenden zu beantworten: «Wo kann ich schlafen – Wo bekomme ich etwas zu Essen – Wo kann ich mich und meine Sachen waschen?»

Autor
Quelle: Livenet.ch (24.12.2019)

Publiziert am
27.12.2019