"Ich weiss nicht, was ich ohne das Sunni getan hätte"

"Ich weiss nicht, was ich ohne das Sunni getan hätte"

Aus Anlass seines dreifachen Jubiläums lud das Entlastungsheim Sunnemätteli Gross und Klein zu einem Festwochenende ein.
Aus Anlass seines dreifachen Jubiläums lud das Entlastungsheim Sunnemätteli Gross und Klein zu einem Festwochenende ein.
© Livia Hofer / Lizenzfrei

Bei tropischen Temperaturen in voralpiner Landschaft: Das Heilsarmee Entlastungsheim Sunnemätteli feiert 100 Jahre seines Bestehens.

100 Jahre Sunnemätteli, 25 Jahre Entlastungsheim und 10 Jahre Neubau – es sind gleich drei Gründe, warum das Heim am letzten Juniwochenende Jung und Alt zu einem Fest einlädt. Die grosse Wiese auf dem grosszügigen Heimgelände bietet Kindern eine Fülle von Attraktionen: den Abenteuerspielplatz, eine Hüpfburg, Kinderschminken und vieles weitere mehr. Im kühlen Festpavillon der weissen Zeltstadt spielen am Samstag Bruno Hächler und an beiden Tagen die Gospelcountry online zu stimmigen Konzerten auf.

Nach dem Gottesdienst vom Sonntag verköstigen sich die zahlreichen Gäste an vielen Ständen mit Salaten, Hamburger, Bratwürsten, Sandwiches oder Kuchen. Zuvor aber bringt der offizielle Festakt viel Spannendes und Berührendes aus der Geschichte und dem Betrieb des Entlastungsheims zutage.

Kurz nach dem Ersten Weltkrieg – man schreibt das Jahr 1919 – beginnt die Heilsarmee, Waisenkinder aus Deutschland und Frankreich aufzunehmen. Spontan stellt der Bäretswiler Fabrikant C. E. Spörri dafür ein Bauernhaus und dahinter ein kleines Fabrikgebäude zur Verfügung. Diese zwei Liegenschaften bilden bis 1994 ein Heim für normalbegabte Kinder, die nicht in ihrer Familie leben können.

Anfang der 1990er-Jahre ist das Heim aber nicht mehr genug ausgelastet. Gleichzeitig meldet eine Elterngruppe Bedarf nach Entlastungsplätzen für ihre Kinder mit körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen an. Eine erste Wohngruppe entsteht 1994 im hinteren Haus, 1999 kommen weitere acht Plätze im vorderen Teil dazu.

Majorin Erika Zimmermann ist von 1993 bis 2010 in Sunnemätteli tätig, davon die letzten zwölf Jahre als Heimleiterin. In ihrem Grusswort an die Festgemeinde lobt sie Gott für seine grosse Treue, Durchhilfe und Bewahrung in jener Zeit: "Es war es nicht einfach, sehr flexibles und gut qualifiziertes Personal zu finden, das bereit war, am Wochenende, in den Schulferien oder an Feiertagen zu arbeiten – in dieser abgelegenen Gegend ohne ÖV", erinnert sich Majorin Zimmermann. "Zudem war das Haus feuerpolizeilich bedenklich und überhaupt nicht behindertengerecht: Wir mussten die Kinder jeweils ins obere Stockwerk tragen. Doch Gott hat immer versorgt und beschützt."

2006 fällt der Entscheid zugunsten der Errichtung eines Neubaus: "Es war sehr hart, etwas Schönes, aber eben Unpraktisches abzureissen. Der Abbruch war mit vielen Emotionen verbunden", blickt die Majorin zurück. 2009 können die neuen Räume bezogen werden, und seither ist der helle, moderne, komplett rollstuhlgängige Neubau von grosser Hilfe bei der Arbeit.

"Frou Zimmerma, i ma nümm!", hiess es so manches Mal am Telefon, wenn eine entkräftete Mutter anrief und bat: "Kann ich mein Kind schon heute ins Sunnemätteli bringen?" Nur dank der grossen Flexibilität der Mitarbeitenden ist eine solche Hilfe möglich.

Wenn Kinder mit geistiger oder Mehrfachbehinderung im Rahmen ihrer Familie aufwachsen, bedeutet das für die Eltern und Geschwister einen enormen Einsatz. Damit sich die Angehörigen auch mal erholen können, bietet das Sunnemätteli teilstationäre, notfallmässige und manchmal auch längerfristige Plätze für behinderte Kinder an, bis sie die Volljährigkeit erreichen.

"Bald heisst es für uns Abschied nehmen vom Sunni", bedauert Frau Junker, die Mutter des schwer behinderten Felix, der bald 18 Jahre alt wird. Felix, der rundum Pflege benötigt und auch nachts nie länger als drei Stunden schläft, besucht das Entlastungsheim seit 13 Jahren – zu Beginn kam er am Wochenende, seit einigen Jahren übernachtet er zweimal pro Woche hier.

Felix fühlt sich sofort wohl und schätzt die Gesellschaft. Für die Mutter, die noch ein weiteres, jüngeres Kind grosszieht, ist dies eine riesige Entlastung: "Ich weiss nicht, was ich ohne das Sunni getan hätte", berichtet sie dankbar. Und dies, obschon sie sich am Anfang schwer tut mit der Vorstellung, Felix in ein Heim zu geben. "Wir stellten uns Fragen wie: Sind wir schlechte Eltern? Sind wir unfähig? Doch durch das Loslassen konnten wir ein Stück Freiheit zurückgewinnen", so Frau Junker.

Der Kontakt und die Zusammenarbeit mit den Eltern ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit im Sunnemätteli. Zurzeit benutzen jährlich über 100 Kinder das Entlastungsheim. Hier herrscht eine Atmosphäre der Geborgenheit. Die Kinder werden ernst genommen und können das Freizeitprogramm mitgestalten. Dazu gehören Ausflüge und Erholung in der Natur, der Kontakt zu Tieren, christliche Rituale, Kreativität sowie Spiele auf dem weitläufigen Areal. Das Heim liegt abgelegen auf 800 m ü M. inmitten von Hügeln, Wäldern und Wiesen. Die gute Luft und das voralpine Klima tragen zum Wohlbefinden der Kinder bei.

"Weit weg und trotzdem mittendrin", bemerkt Marco Innocente, Geschäftsleiter Heilsarmee soziale Institutionen Mitte. "Glückliche Kinder, dankbare Eltern: Der Glaube an Jesus verpflichtet uns zum Handeln."

Auch dem Heimleiter Andreas Girsperger wird am Jubiläumswochenende ein Kränzchen gewindet. Das freudestrahlende, rund 30-köpfige Personal übergibt ihrem Chef einen tellergrossen Biber mit der Aufschrift: "Danke lieber Andi!"

 

Autor
Livia Hofer

Publiziert am
3.7.2019