Jedes Opfer zählt ...

Jedes Opfer zählt ...

© Martin Heimann / Lizenzfrei

Immer am 30. Juli findet der Welttag gegen Menschenhandel statt. Für das Jahr 2023 haben die Vereinten Nationen folgendes Motto festgelegt: «Jedes Opfer von Menschenhandel zählt, niemand wird zurückgelassen».

Was versteht man unter Menschenhandel? Nach der international vereinbarten Definition ist Menschenhandel durch drei Elemente gekennzeichnet: eine Handlung (Anwerbung, Transport, Unterbringung von Opfern), ein Mittel (Drohungen, Zwang, Gewalt, falsche Versprechungen etc.) und ein Ziel (Zuhälterei, Vergewaltigung, Ausbeutung der Arbeitskraft, erzwungenes Betteln, Organhandel etc.). Menschenhandel ist in der Regel mit Migration verbunden und nährt sich aus der Armut und Verletzlichkeit der Opfer.

50 Millionen Frauen, Männer und Kinder sind Opfer von Menschenhandel. Dies gab die Internationale Arbeitsorganisation im September 2022 bekannt. Das entspricht einem von 150 Menschen auf der Welt! Diese Zahl ist seit dem letzten Bericht im Jahr 2016 um 10 Millionen gestiegen. Das Ende der Kindersklaverei ist jedoch Teil der UN-Ziele für 2025 und das Ende der Sklaverei aller Menschen ein Ziel für 2030. 

In der Schweiz ist Menschenhandel im Sexgewerbe, in der Hausarbeit, in der Landwirtschaft, im Gastgewerbe und auf Baustellen festzustellen. Laut Europol sind zwei Drittel der Opfer von Menschenhandel im Prostitutionsmilieu zu verzeichnen. Die Organisation Perla, die sich für Besuche bei Prostituierten und die Bekämpfung des Menschenhandels einsetzt, vermutet, dass 7 von 10 Prostituierten Opfer von Ausbeutung sind. 

Wollen Sie zum Ausdruck bringen, dass Sie mit Menschenhandel nicht einverstanden sind? Schliessen Sie sich am 14. Oktober 2023 einem «Walk for Freedom»-Marsch in Ihrer Nähe an: in Bern, Zürich, Basel, Luzern oder Neuchâtel. Weitere Informationen finden Sie hier: Walk for Freedom.

In Lausanne stammt eine grosse Anzahl von Frauen, die sich prostituieren, aus Nigeria. Die Organisation Fleur de Pavé bestätigt, dass ein grosser Teil dieser nigerianischen Frauen tatsächlich Opfer von Ausbeutung ist. Ihr Werdegang ist besonders beispielhaft: Sie werden oft von Landsleuten nach Europa gelockt, die ihnen ein besseres Leben versprechen. 

In Nigeria werden sie vor ihrer Abreise einem schwarzmagischen Ritual namens Juju unterzogen, bei dem sie einen Eid ablegen und schwören, die Schulden, die sie für die Reise aufgenommen haben, zurückzuzahlen und zu schweigen, da sie sonst ihr Leben und das ihrer Angehörigen in Gefahr bringen würden. Dieses Ritual spielt eine zentrale Rolle bei der Unterwerfung der Opfer. Die Polizei erklärt, dass sie dann von den Zuhältern in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht werden und ihnen sehr oft die Pässe abgenommen werden.

In Italien können bestimmte sexuelle Dienstleistungen bereits bei acht Euro beginnen. In der Schweiz spricht die Vereinigung Fleur de Pavé von Leistungen ab etwa zwanzig Franken. Da die Schulden bis zu 70'000 Franken betragen können, dauert es also viele Jahre, bis sie zurückgezahlt sind. Zusätzlich zu ihren Reiseschulden müssen die Frauen ihre Miete und Lebensmittel bezahlen. 

Opfer von Menschenhandel melden sich nur selten bei den zuständigen Behörden. Erstens ist es für die Opfer nicht einfach, vor ihren Peinigern zu fliehen. Wenn ihnen dies dennoch gelingt, wird ein grosser Teil aus Angst vor Vergeltungsmassnahmen keine Anzeige erstatten wollen. Eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis wird jedoch nur im Falle eines Gerichtsverfahrens erteilt (wenn die Anwesenheit des Opfers als notwendig erachtet wird). Und: Es ist nicht gewährleistet, dass die Opfer nach Abschluss des Verfahrens eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, was viele davon abhält, sich an Strafverfahren zu beteiligen. Ausserdem müssen die Opfer während des Strafverfahrens immer wieder von den Misshandlungen berichten, was schwere Traumata wieder aufleben lässt. Damit die Betroffenen Zugang zu Opferhilfeleistungen erhalten, muss die Straftat zudem in der Schweiz stattgefunden haben. Dies steht im Widerspruch zum Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels und zum Übereinkommen von Palermo, die das internationale und europäische Recht im Bereich des Menschenhandels regeln. 

 

Quellen / Ressourcen: 

Welttag gegen Menschenhandel UNO: World Day Against Trafficking in Persons | United Nations

Temps Présent: Prostitution nigériane, esclavage moderne | Temps Présent – YouTube (auf Französisch)

Weltbericht über Menschenhandel (Englisch, auch in anderen Sprachen erhältlich) Trafficking in Persons (unodc.org)

Glauben Sie, dass Sie Kontakt mit einem Opfer von Menschenhandel haben? Sie können eine Meldung (auch anonym) auf der Website vom Verein ACT212 machen.

«Joy» auf Netflix / «Oloturé» auf Netflix (Vorsicht, diese Filme zu sehen kann eine Belastung sein) 

Autor
Coralie Robert-Nicoud, Koordinatorin Internationale Beziehungen und Anti Human Trafficking

Publiziert am
30.7.2023