Schwerelosigkeit und Freude

Schwerelosigkeit und Freude

Für diese Menschen mit Behinderung ist das Camp ein Highlight des Jahres.
Für diese Menschen mit Behinderung ist das Camp ein Highlight des Jahres.
© Werner Tschan / Lizenzfrei

Am „Sommercamp für alle“ nehmen Menschen mit und ohne Behinderung teil. Herausforderungen meistern sie gemeinsam.

Das „Sommercamp für alle“ ist reich an Gemeinschaft, Naturerlebnissen, kreativen und besinnlichen Momenten. An diesem heissen Nachmittag steht Baden und Bräteln auf dem Programm. Der Ausflug vom Jugendhaus Stäfa an den Greifensee ist eine logistische Herausforderung. Für die Rollstuhlfahrer wurde ein spezieller Transporter organisiert. Das Baden im See ist für viele ein Höhepunkt im Lager. Gerade Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung können sich im Wasser oft entspannen und besser bewegen. Wenn sie in der Obhut ihrer Betreuer ins Wasser gleiten, kommt bei ihnen grosse Freude und ein Gefühl der Schwerelosigkeit auf. Nach dem Baden lässt man sich in Grüppchen im Schatten nieder und geniesst die Zeit – ganz nach dem Lagermotto „mitenand und fürenand“.

Familiär und individuell

Die meisten erwachsenen Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen schon als Kinder ins Sommercamp. Mark* zum Beispiel seit 1999. Seine Art sich mitzuteilen ist für Aussenstehende völlig unverständlich. Hier im Camp aber versteht man ihn, und wenn nicht, dann „übersetzt“ sein persönlicher Betreuer. Für diese Menschen mit Zerebralparese, Epilepsie, Multipler Sklerose, Down-Syndrom oder geistiger Behinderung ist das Camp ein Highlight des Jahres, sagt Betreuerin Susanne: „Ihr Alltag in den Institutionen ist oft sehr strukturiert. Hier im Sommercamp gibt es weniger strikte Regeln und jeder kann sich selber sein.“ Der Tagesablauf ist familiär, die Betreuung individuell. Es wird ihnen so viel Zeit gelassen, wie sie brauchen.

Auch die ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer sind oft seit Jahren dabei und konnten schon reichlich Erfahrung in der Unterstützung von Personen mit Behinderung sammeln. Susanne war zum Beispiel bereits als Kind als nichtbehinderte Teilnehmerin dabei. Heute hilft sie im Leiterteam mit.

Gaben nutzen, Schwieriges integrieren

Susannes Mutter Hilde betreut Vreni und Annemarie. Vreni, von Down-Syndrom betroffen, ist eine sehr selbständige Person: „Man merkt, dass sie schon früh gefördert wurde, denn sie ist gut für den Alltag vorbereitet“, sagt Hilde. Annemarie, die mit einer leichten geistigen Behinderung lebt, sei eine wunderbare Trösterin: „Bei Einzelnen kann die Stimmung manchmal schnell kippen – ein falsches Wort, und schon fliessen die Tränen. Solches versuchen wir, ganz normal ins Lagerleben zu integrieren. Wir sprechen darüber und trösten einander.“

Seit vielen Jahren kommt auch Margrit, die an einer progressiven Stoffwechselstörung leidet. Als sie ein Kind war, konnte sie mithilfe eines Rollators gehen. Heute ist es der erwachsenen Frau noch möglich, den elektrischen Rollstuhl mit ihren Fingern zu bedienen. Margrit versteht problemlos, was mit ihr und um sie herum passiert. „Sie selbst wird nicht immer verstanden“, sagt ihr Stiefvater Erich. „Aber Margrit kann gut umschreiben oder auf andere Wörter ausweichen.“

Begabung für Arbeit mit Kindern

Aufgrund ihrer Körperbehinderung ist auch Conny an den Rollstuhl gebunden. Als Sommercamp-Neuling – sie ist erst zum zweiten Mal mit dabei - freut sie sich: „Ich liebe es, Leute kennenzulernen!“ Und das, obschon sie schwierige Zeiten hinter sich hat. „Ich stand vor dem Abgrund. Doch Gott hatte andere Pläne mit mir.“ Im Bus lernte sie eine Lehrerin kennen, die für ihre Schulklasse eine Aufgabenhilfe suchte. Sie schlug Conny vor, einen Tag zu schnuppern: „Du kannst den Kindern etwas geben, was ihnen niemand anders geben kann.“ Als Conny dann bei den Kindern war, wusste sie: „Das ist es! Das wollte ich schon immer!“ Heute arbeitet sie 40 Prozent als Stütze im Unterricht mit Primarschülern. „Durch meine offene Art habe ich eine Begabung, mit Kindern umzugehen.“

Einen Glauben zum sich dran festhalten

Früher dachte sie, sie sei wertlos. „Heute weiss ich: Einer braucht mich. Es ist Gott, der mir im Leben Aufgaben stellt.“ Auch deshalb gefällt es ihr im Sommercamp: „Hier bekomme ich einen Glauben mit, der eine Säule ist, an der ich mich festhalten kann. Den ich umsetzen und in meinem Leben integrieren kann. Mit Sorgen komme ich hier an, mit einem Lachen gehe ich nach Hause.“
 

 

*Zum Schutz der Privatsphäre wurden für alle Personen, die im Text vorkommen, die Namen geändert.

Weitere Informationen

Das „Sommercamp für alle“ der Heilsarmee findet jeden Sommer im Jugendhaus Stäfa statt. Es steht Menschen jeden Alters mit und ohne Behinderung offen. Geboten werden kreative Aktivitäten, Ausflüge in der Natur, Andachten und eine fröhliche Gemeinschaft. Zur individuellen Pflege und Unterstützung stehen viele Betreuerinnen und Betreuer im Einsatz. Damit die Lagerkosten tief gehalten werden und jede Person mit Behinderung sich die Teilnahme leisten kann, verzichten die Betreuer auf jegliches Entgelt. Auskunft über das „Sommercamp für alle“ erteilt die Heilsarmee-Abteilung Gesellschaft & Familie.

Autor
Livia Hofer

Publiziert am
8.10.2018