Stille Nacht hinter Gittern

Stille Nacht hinter Gittern

© petrapetruta flickr.com / Lizenzfrei

Es gibt Socken von der Heilsarmee, Filet im Teig und Panettone: Dennoch ist die Weihnachtszeit für die Bitzi-Insassen schwierig.

Zwei Meter hoch ist der Maschendrahtzaun, der das Massnahmenzentrum Bitzi am Rand von Mosnang von der Freiheit trennt. Im Hof steht ein Adventskranz auf Pfeilern. Ansonsten erinnert hier nichts daran, dass bald Weihnachten ist. Zentrumsdirektor Claudio Vannini schliesst eine der Zellen auf. Die Bettdecke ist glattgestrichen, an der Wand hängt eine einzige Postkarte. Neben dem Fernseher stapeln sich Bücher, im Gestell Rasierapparat, Deo und Shampooflaschen, auf dem Boden liegt das Steuergerät einer Spielkonsole. In der zwölf Quadratmeter grossen Zelle bleibt wenig Platz für persönliche Gegenstände.

Linoleumböden, gut abwischbar
Linoleumwände. Auch im Gemeinschaftsraum. Keine Pflanzen, keine Bilder, keine Vorhänge, keine Teppiche. Und schon gar keine Lichterketten und Christbaumkugeln. Der Dezember sei immer ein schwieriger Monat, sagt Vannini. «Der Koller ist grösser als normalerweise.» Während der Feiertage seien die Arbeitsfelder geschlossen. Die Insassen, die sich ohnehin in einem dauernden Spannungszustand befänden, noch mehr mit sich selbst beschäftigt und unzufriedener. In der Adventszeit häuften sich auch die negativen Ereignisse. Es wird vermehrt versucht, Drogen in die Anstalt zu schmuggeln. Kürzlich neun Gramm Marihuana. «Der Insasse wollte sich eine angenehme Weihnachtszeit machen», sagt Vannini.

Arbeit und Therapie auf unbestimmte Zeit
Im Bitzi, der ehemaligen Zwangsarbeitsanstalt mit Aussicht auf die Toggenburger Hügel und Felder, sitzen 58 psychisch kranke Straftäter ein. 16 von ihnen in der geschlossenen Abteilung, 36 im offenen Vollzug, sechs in der Aussenwohngruppe. Vergewaltiger, Mörder, Totschläger, Betrüger. Die Insassen werden rund um die Uhr beobachtet, müssen regelmässig zur Urinprobe. Während sieben Stunden pro Tag arbeiten sie in der hauseigenen Gärtnerei, in der Schlosserei, im Landwirtschaftsbetrieb oder in der Küche.

Mit dem Arbeitsentgelt finanzieren sie einen Teil der Vollzugskosten, ein kleines Entgelt gibt es für Zigaretten, Duschmittel oder Esswaren. Den Rest des Tages verbringen sie mit Therapiesitzungen, in denen sie sich einzeln oder in Gruppen mit dem Delikt auseinandersetzen müssen, das sie begangen haben. Unbeliebt seien die Massnahmen für die Insassen, sagt Vannini. Aber nötig, wenn sie dereinst in der Gesellschaft wieder Anschluss finden sollen. Der Ausdruck Kuschelvollzug, mit dem das Bitzi auch schon bezeichnet worden ist, stösst bei Vannini auf Unverständnis. «Das hat mit der Realität hier wenig zu tun», sagt er.

Dennoch gibt es Dinge, die den Insassen während der Adventszeit gewährt werden. Für Heiligabend können sie aus-nahmsweise einen Antrag auf ein grösseres Budget für das Essen ihrer Wohngruppe stellen. Dann kommen etwa Filet im Teig oder Panettone auf den Tisch. Auch eine Weihnachtsfeier gibt es. Sie hat bereits am 11. Dezember stattge-funden. Mitglieder der Heilsarmee kamen zum Singen vorbei, brachten Geschenke mit: Socken, Schokolade, Mützen. «Ich staune immer wieder, wie viele der Insassen freiwillig an der Feier teilnehmen», sagt Vannini. Er erinnert sich an einen Insassen mit «ausgeprägter Nazigesinnung », der vor Jahren bei der besinnlichen Feier emotional zusammengebrochen
ist.

Ansonsten gibt es - auch an Silvester - keine Ausnahmen. Zelleneinschluss um 22 Uhr. Das übliche Kontingent an Paketen, das die Insassen pro Monat erhalten dürfen, «kontrollierbare Waren, die vorher angemeldet werden müssen», sagt,Vannini. Und für die Insassen der offenen Anstalt zwei Besuche pro Monat.

«Entweder man fügt sich oder man begehrt auf»
An der Feier teilgenommen hat auch Patrick Häfliger'. Der 41-Jährige wirkt müde. Blasse Haut, dunkle Augen-ringe. Es ist sein achtes Jahr im Vollzug. Seit fünf Jahren sitzt er im Massnahmenzentrum in Mosnang, seit vier Jahren im offenen Vollzug. 14 Monate unbedingt lautete die Grundstrafe. Hier sei jeder Insasse gleich. «Entweder man fügt sich oder man begehrt auf», sagt Häfliger. Dann drohe «der Bunker» - Einzelhaft.

Deshalb ist Häfliger laut eigenen Aussagen einer, der sich fügt im Bitzi. Weihnachten sei für viele «sicher die schwerste Zeit im Jahr», sagt der Insasse. Viele flüchteten sich in Computerspiele, die Stimmung sei gedrückt. Er sei ein Arbeitstier. Deshalb ist für Häfliger die freie Zeit vom 24. bis 26. Dezember besonders schwierig. «Dann beginne ich zu grübeln», sagt er. Die Weihnachtsfeier brachte etwas Abwechslung. Er habe Tee, Tirolercake und Nüsschen parat gemacht.

Vieles, was Häfliger sagt, klingt sehr vernünftig, gar wünschenswert. Etwa, dass er nicht freikommen wolle um jeden Preis. «Ich will, dass ich mir die Freiheit verdient habe, aufgrund der therapeutischen Arbeit. Ich muss die schwierigen Verhaltensmuster, die zum Delikt geführt haben, durchbrechen.» Im gleichen Ton fährt er fort, wenn er von einem kleinen Lichtblick erzählt. Es ist das erste Mal seit seiner Verurteilung wegen eines Sexualdelikts, dass er an Weihnachten Urlaub erhalten hat. 14 Stunden, um ins Mittelland zu seiner Familie zu fahren. «Ich werde meiner Mutter in der Küche zur Hand gehen, mit meinem Neffen spielen», sagt der gelernte Koch. Es gebe Rippli, Kuchen und Geschenke.

In den vergangenen Jahren hat Häfliger am Weihnachtsabend jeweils für die Wohngruppe gekocht, in der er zusammen mit elf weiteren Insassen lebt. Dieses Mal habe er «sein spezielles Dessert» auf die Altjahrswoche verschoben. Tiramisu mit Chriesi und Amaretti. «Das wird fein», sagt er und lächelt. Zur Familienfeier gehe er aber auch mit einem weinenden Auge. Schliesslich müsse er gegen 18 Uhr bereits wieder den Weg zurück ins Zentrum antreten. Und in diesem muss er auf unbestimmte Zeit bleiben. Was er sich wünsche? Häfliger überlegt lange. «Ich möchte weg von der Ostschweiz, wieder in meiner Heimatregion wohnen», sagt er. Ansonsten «wenn man alles hat, was man zum Leben braucht».

Und welche Wünsche hat Zentrumsdirektor Vannini? «Dass die Insassen weniger Drogen konsumieren und ihren Mitinsassen anbieten. Das behindert ihre Fortschritte.» Und sonst? Vannini denkt lange nach. «Für schwierige Lebensentwürfe gibt es keine einfachen Lösungen», sagt er.

*Name geändert

 

Autor
Quelle: Ostschweiz (23.12.2018)

Publiziert am
24.12.2018