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© Peter Heilmann flickr.com / Lizenzfrei

Einsamkeit: Von Formen, Gründen und Auswegen (8700 Zeichen)

Experten sagen, dass die einsamsten Menschen heute die zwischen 30 und 40 Jahren sind. Mitten im Leben ist es einsam geworden. Einsamkeit betrifft nicht, wie meist vermutet, nur die ältere Generation. Natürlich gibt es in jeder Generation einsame Menschen. Einsamkeit ist zu einem Gesellschaftsproblem geworden - und das in der sogenannten Kommunikationsgesellschaft. Wir sind immer erreichbar und doch allein. Und - seien wir ehrlich - in jedem von uns gibt es verborgene Winkel, in denen sich Einsamkeit hineingewoben hat, wie Spinnweben auf einem Dachboden.

Einsamkeit ist nicht eine Erkrankung unserer Zeit. Schon immer haben sich Menschen einsam, allein gelassen und ausgegrenzt gefühlt. Einsamkeit gehört zum Menschsein. Wir sehen einige Beispiele aus der Bibel an.

 „Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heisst auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreissig Jahre krank. Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen.“ (Johannes 5, 2-7a)

Oft wird dieser Satz gesprochen: „Ich habe keinen Menschen.“ Was steckt in diesen Worten „Ich habe keinen Menschen.“ Bittere Enttäuschung? Aufgestauter Frust? Hoffnungslosigkeit? In jedem Fall: Tiefe Einsamkeit und Resignation. „Ich habe keinen Menschen“, sagt der Kranke. Ich bin auf mich selbst angewiesen. Da ist niemand, auf den ich zählen kann.

In den Psalmen, jenen aufgeschriebenen Gebetsliedern aus dem Alten Testament der Bibel, klagen Menschen auch über Einsamkeit. „Wende dich mir zu, Herr, und rechne meine Schuld nicht an, denn ich bin einsam und niedergeschlagen. Mir ist angst und bange, nimm diese Last von meinem Herzen!“ (Psalm 25,16ff)

Wir begegnen hier zwei Elementen, die zusammengehören: Einsamkeit und Niedergeschlagenheit. Der Weg in die Depression führt oft über die Einsamkeit.

 „Was ich ihnen Gutes getan habe, zahlen sie mir mit Bösem heim. Ich bin einsam und verzweifelt.“ (Psalm 35,12) In diesem Leben widerfährt vielen guten Menschen Böses. Und dann reagieren sie mit Rückzug und kapseln sich ein. Irgendwann drehen sie sich dann nur noch um sich selbst, und dies ist dann der Anfang der Verzweiflung.

 „Ich kann nicht schlafen; ich bin verlassen und fühle mich wie ein einsamer Vogel auf dem Dach.“ (Psalm 102,8) Einsam, weil ich verlassen wurde, ein Schicksal, das so viele trifft, weil unsere Beziehungen so flüchtig und brüchig sind.

 „Schau zur Rechten und sieh: Ich habe ja niemanden, der etwas von mir wissen will. Verloren gegangen ist mir jede Zuflucht, niemand fragt nach meiner Seele.“ (Psalm 142,5)

Es braucht nicht allzu viel Fantasie, um sich auszumalen, wie einsam es es werden kann, wenn niemand mehr etwas von uns wissen will und niemand mehr nach uns fragt. Und der Prophet Jeremia klagt über seine Isolation: „Nie sass ich fröhlich mit anderen Menschen zusammen, ich konnte nicht mit ihnen lachen. Nein, einsam war ich…“ (Jeremia 15,17) Bis heute sagen Psychologen, dass Einsame nicht nur das Sprechen verlernen, sondern auch das Lachen.

Haben wir wahrgenommen, warum diese Menschen über ihre Einsamkeit sprechen und nachdenken? In diesen Texten klingen einige Gründe an:

Den einen Menschen hat die Krankheit einsam gemacht. Er hat keinen, der ihm hilft, wenn es darauf ankommt:

  • Schuld und Schuldgefühle machen einsam.
  • Ungesunde Scham macht einsam.
  • Verletzungen, die uns zugefügt wurden, machen einsam.
  • Verlust der Geborgenheit macht einsam.
  • Abgelehnt zu werden macht einsam

Einsamkeit tut weh, weil es ein Mangelzustand ist:

  • Zuneigung fehlt.
  • Liebe fehlt.
  • Nähe und Wärme fehlen und das Gefühl, für irgendeinen Menschen auf der Welt wichtig zu sein.

Einsamkeit ist ein gefährlicher Zustand, weil dem Einsamen der Spiegel fehlt. Es fehlen Menschen, die ihn ermutigen und bestätigen, aber auch Freunde, die ihn kritisieren und korrigieren. Ganz einfach: Menschen, die mit ihm lachen und mit ihm weinen.

Kennen wir persönlich solche Gefühle? Kennen wir andere Menschen, die mit Einsamkeit zu kämpfen haben?

Allerdings sind Beziehungen kein sicherer Schutz vor Einsamkeit, denn man kann sich auch in Gesellschaft anderer einsam fühlen. Und dann gibt es da ja auch noch die Einsamkeit zu zweit. Man hat keinen Draht mehr zu einander, man hat sich nichts mehr zu sagen, hört sich nicht mehr zu.

Die Einsamkeit in der Ehe ist für viele die schlimmste Erfahrung. Da ist einer in der Nähe, aber nicht nah. Da ist einer mit mir und doch so oft gegen mich. Nach statistischen Angaben fühlen sich ein Viertel aller verheirateten Leute verlassen. Ein hoher Prozentsatz heiratet, um das Alleinsein zu beenden und genauso viele lassen sich, weil sie so einsam sind, wieder scheiden.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass wir heute dank moderner Kommunikationstechnik fast an jedem Ort telefonieren oder überall E-Mails verschicken und empfangen. Und trotzdem, schleichend, ja fast unbemerkt, breitet sich da etwas Gefährliches aus, was mit „mangelnder Sprachfähigkeit“ beschrieben wird. Der Austausch reiner Sachinformationen ist noch nicht unbedingt Kommunikation. Immer online zu sein und ständig ein Handy am Ohr zu haben, macht uns noch nicht beziehungsfähig. Viele sind nicht mehr fähig, etwas von sich zu erzählen, sich mitzuteilen, Anerkennung auszudrücken, Gefühle zu beschreiben, präzise Fragen zu stellen. Und das macht einsam. Gemeinsam einen Film anzuschauen ist noch keine Kommunikation. Fernsehen kann sehr einsam machen.

Dazu kommt die andere Seite: Wir verlernen zuzuhören. Viele Menschen sind sehr schlechte Zuhörer. „Du hörst mir gar nicht zu!»

Verhaltensforscher sagen, dass die Kunst des Zuhörens erlernbar ist, wie Mathematik oder eine Fremdsprache. Und einsame Menschen haben einen Sensor dafür, ob wir ihnen zuhören oder nicht.

Einsame Leute sind also nicht unbedingt Menschen, die keine Kontakte haben. Aber ihre Kontakte haben ihren Tiefgang und ihren Sinn verloren. Doch soweit muss es nicht kommen. Wir können gegensteuern. Es lassen sich grob drei Phasen der Einsamkeit unterscheiden.

1. Die momentane, vorübergehende Einsamkeit
Diese Phase macht jeder im Leben mehrmals durch. Meistens ist eine solch kurze Zeit der Einsamkeit eine Reaktion auf äussere Umstände. Ein Umzug, ein Krankenhausaufendhalt, der Auszug der Kinder. Das können Auslöser für eine momentan empfundene Einsamkeit sein. Eine solche Phase der Einsamkeit ist nicht schädlich. Sie kann hilfreich sein, sich den neuen Umständen anzupassen, sich zu sortieren, vielleicht auch neu zu orientieren, denn sie deutet auf eine Chance im Leben hin.

2. Der langsame Rückzug
Einsamkeit schleicht sich ein. Sie beginnt unser Dauerbegleiter zu werden und dann verändert sie uns in unserer Persönlichkeit. Meine Fähigkeiten, Kontakt aufzunehmen und mich mit anderen Menschen zu unterhalten, nehmen langsam ab. Wir verlernen zu lächeln und über Alltäglichkeiten zu reden. Wir ziehen uns zurück.

3. Die chronische Einsamkeit
In dieser Phase dauern die Einsamkeitsgefühle Monate oder Jahre. Wir versteinern. Alle unsere Fähigkeiten, Kontakt aufzunehmen und aufrechtzuerhalten, für andere attraktiv zu sein, Anerkennung aufzunehmen und auch auszudrücken, verschwinden. Andere wissen nichts mehr mit uns anzufangen. „Die redet ja sowieso nichts. Sitzt immer nur so steif da.“ Wir fühlen uns abgelehnt und unattraktiv und verlieren immer mehr das Vertrauen in unsere Fähigkeiten. Es ist ein Teufelskreis. Wir ziehen uns zurück, oder wir werden anderen gegenüber immer gereizter und „giftiger“.

Nun ist es mir aber auch wichtig zu sagen, dass es in unserem Leben auch einen gesunden Wunsch nach Einsamkeit gibt. Ein Bedürfnis, das häufig aus der dauernden Belastung und Anspannung unseres Lebensstils entsteht, weil wir eben immer erreichbar sein müssen oder es meinen, es sein zu müssen. In diesem Text wollen wir uns aber nicht mit dieser Art von Einsamkeit befassen, sondern primär mit dieser krankmachenden Einsamkeit, mit den oben erwähnten Thematiken des „langsamen Rückzuges“ und der „chronischen Einsamkeit“.

Was kann uns einsam machen?

  • Eine Krankheit kann einsam machen.
  • Schuld und Schuldgefühle machen einsam.
  • Ungesunde Scham macht einsam.
  • Verletzungen, die uns zugefügt wurden, machen einsam.
  • Verlust der Geborgenheit macht einsam.
  • Abgelehnt zu werden macht einsam.
  • Sich selbst ablehnen macht einsam.
  • Ein Suchtverhalten kann uns in die Einsamkeit führen.
  • Besondere Lebensumstände können uns einsam machen.

Jesus möchte uns aus der krankmachenden Einsamkeit herausführen. Oder er möchte uns aufzeigen, wie wir diese Art von Einsamkeit überwinden können.

Wie wird die Einsamkeit besiegt?

  • In dem wir wissen und im Glauben annehmen, dass Jesus uns bedingungslos liebt, immer bei uns ist und uns nie verlässt!
  • In dem wir mit einem Menschen, welchem wir vertrauen, über unsere Einsamkeit sprechen und Hilfe annehmen.

Autor
Major Beat Schulthess, Korpsoffizier Heilsarmee Zürich Oberland

Publiziert am
14.11.2018