Auf der Flucht: Situation in Polen

Auf der Flucht: Situation in Polen

© Gabrielle Glodek / Lizenzfrei

Unsere Frau in Warschau: Auxiliär-Kapitänin Gabrielle Głodek spricht über die Situation in Polen.

Auxiliär-Kapitänin Gabrielle Głodek Keller ist ehemalige Leiterin Kommunikation der Heilsarmee Schweiz und hat acht Jahre in Warschau gedient, bevor sie in den Ruhestand getreten ist. Ihre neue Heimat wird von Flüchtlingen überschwemmt.

Was spürt man vom Flüchtlingsstrom vor Ort? 

Seit Kriegsbeginn sind etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Polen gekommen, davon sind bisher über 300'000 in Warschau geblieben – in einer 1,7 Millionen-Stadt spürt man dies schon: Die Bahnhöfe sind überlaufen, Feuerwehr, das Rote Kreuz und viele Organisationen bieten in Zelten Hilfe an. An verschiedenen Orten sind provisorische Nachtlager eingerichtet worden.

Wie reagieren die Einwohner?

Sie öffnen weit ihre Herzen, Brieftaschen und Wohnungen. Sie sind grossartig. Sie wissen, was es heisst, Kriegsopfer zu sein. Jedem Polen ist klar, dass sein Land als nächstes angegriffen werden könnte. 

Was kann die Heilsarmee verrichten?

Alle Korps helfen mit, die Not zu lindern. Zum Beispiel im Korps Rzeszow, nur eine Autostunde von der ukrainischen Grenze entfernt: Die Söhne des Korpsoffiziers haben ihre IT-Firma kurzerhand in eine Notunterkunft für 70 Flüchtlinge umgewandelt. Sie leisten Nachtdienst, während ihr Vater Lebensmittel verteilt, Transporte organisiert, Seelsorge anbietet usw.

Was bewegt dich persönlich?

Ich frage mich, wo in diesem ganzen Rummel die geistliche Hilfe bleibt. Wenn ich am Bahnhof still für die Menschen bete und manchmal mit ihnen spreche, spüre ich, dass es ihnen gut tut, ein freundliches und vor allem gelassenes Gesicht zu sehen. Wäre ich auf der Flucht, ginge es mir auch so.

Autor
Interview: Daniel Oester, Text: Gabrielle Glodek

Publiziert am
24.3.2022