Brock’n’Roll: Die Zeichen stehen auf Expansion

Brock’n’Roll: Die Zeichen stehen auf Expansion

© jeffk / Limitierte Rechte

Jakob Amstutz, Geschäftsleiter der Heilsarmee brocki.ch, hat das Secondhand-Konzept erfolgreich generalüberholt.

«Secondhand macht glücklich», steht über dem Eingang der Brocki-Filiale in Wetzikon. Eine elektrische Schiebetüre öffnet sich. Wer den Gebrauchtmarkt betritt, steht plötzlich in einer gigantischen Warenhalle voller Möbel, Puppen, T-Shirts, Bücher, Skateboards, Kochtöpfe - es gibt nichts, was es nicht gibt. Aber nichts für nichts. Denn hier wird neuerdings richtig Geld verdient. Rund 23 Millionen Franken setzten die Schweizer Brockis 2017 um, 10 Prozent des Umsatzes der Heilsarmee. Der Gewinn: 2 Millionen Franken.

Das Geld steckt die Heilsarmee nicht mehr nur in Sozialprojekte, sondern jetzt auch in die Expansion. «Pro Jahr soll eine Filiale dazukommen», sagt Brocki-Leiter Jakob Amstutz. Die Heilsarmee überlässt den Non-Food-Bereich nicht mehr nur Migros und Coop: Der Charme älterer Ware punktet gegen neue übergünstige Massenartikel. Bei grossen Detaillisten wächst dieser Bereich kaum 1 Prozent pro Jahr. Brockis legen um bis zu 5 Prozent zu.

 

Mit Ramschläden wie anno dazumal haben Brockis nichts mehr zu tun. «Früher wurden am Eingang Säcke voller Textilien deponiert. Und wer den ausrangierten Kühlschrank loswerden wollte, die Deponie aber zu weit weg war, stellte ihn beim Brocki ab», erzählt Amstutz, jetzt sind das Boutiquen mit wertigen Einzelstücken, übersichtlich nach Preisen sortiert. Retro ist chic und Nachhaltigkeit das Mantra von Jungfamilien und Millennials. Obwohl die Heilsarmee als Brocki-Eignerin und Stiftung mit Sozialauftrag nicht gewinnorientiert wirtschaftet, gibt es keinen Grund mehr, mit Gebrauchtem nicht auch gutes Geschäft zu machen. Secondhand ist die neue erste Ware: hip für die Kunden, umsatzträchtig für die Heilsarmee.

 

Ebit zu gering
Bis vor vier Jahren war die Situation noch nicht so komfortabel. Die Performance der Brockis war eher mager, die Ware nicht so erlesen und schon gar nicht so hübsch aufbereitet. Insbesondere über den geringen Betriebsgewinn war Amstutz nicht glücklich. «Zu ineffizient», wie er sagt. Die Warenannahme war desorganisiert. Irgendwer kaufte irgendwann irgendwas. Die Brockis kannten ihre Kunden nicht. Die Kunden wussten nie so recht, woran sie waren. Kauf und Verkauf: purer Zufall.

Amstutz packte der Ehrgeiz. Er überlegte, wie er das Brocki zum umsatzstarken Powerhouse mit positiven Deckungsbeiträgen und schwarzen Zahlen machen könne. Wie er Erfolg erzielen könne. Und wie er das Brocki zum ultimativen Einkaufserlebnis für die Kunden macht. Amstutz beauftragte im Namen der Heilsarmee die Implement Consulting Group mit nicht weniger als dem Totalumbau.

Berater, bitte kommen
Für die Unternehmensberater war das anfangs ein schwieriges Unterfangen. Es gab keine genauen Kundendaten und keine Marktstudien. Brockis kannten sie bislang nur als Textilhaufen und Markt für nutzloses Zeug, kurz vor der Müllverbrennung, auch wenn Implement-Projektleiter Mark Sprauer ein bekennender Schnäppchenjäger ist. Sprauer war dementsprechend überrascht: «Als Herr Amstutz mit uns Kontakt aufnahm, konnten wir tabulos über alles sprechen, auch über Profltabilität. Mehr Ebit war das erklärte Ziel.»

 

In einer ersten Phase sammelte das Beraterteam Daten und Meinungen von Mitarbeitern und Kunden. «Wir wollten wissen, was eine erfolgreiche Brocki-Filiale ausmacht», sagt Sprauer. Daten von 20 Standorten wurden gesammelt, von der Kundenfrequenz über den Warenumschlag bis zu den Annahme- und Sortiermethoden. Sämtliche Standortleiter wurden interviewt und zu ihren Erfahrungen befragt. Das Resultat: «Es ist das Beste, wenn die Filialen dezentral funktionieren und der Warenspender, der zugleich auch Käufer ist, weiss, dass etwas Gutes mit seiner Ware passiert und er den Warenverlauf direkt in der Filiale mitverfolgen kann.»

 

Der Verarbeitungsprozess wurde daraufhin in allen Filialen vereinheitlicht. Bis hin zur Abrechnung. Ein elektronisches Kassensystem mit Terminals, wie man sie aus der Gastronomie und dem Detailhandel kennt, zeichnet jeden Verkauf auf, verbucht den Warenausgang und nimmt die Kundendaten ins System auf. «Jetzt kann man alles mit Zahlen unterlegen und dadurch erkennen, was erfolgreich ist und was nicht. Früher musste man das im Gespür haben», sagt Sprauer.

 

«So ein System ist wichtig, um Kundenbindungsprogramme zu entwickeln.» Ein solches werde noch diesen Herbst lanciert. Von der Decke hängen LCD-Schirme, die Werbespots der Heilsarmee abspielen. Aus den Lautsprechern tönen Radiohits fürs gesteigerte Einkaufserlebnis. Gleich beim Eingang befindet sich die Annahmestelle, aufgeteilt in Waren- und Preiskategorien. Hier wird die Ware auf Qualität und Funktionalität geprüft: Spiegelreflexkameras, Bücher, Sportkleidung, Babywagen, ganze Sitzgruppen. Ist die Ware defekt oder unverkäuflich, wird sie entsorgt.

 

Lean-Management-Kriterien

Eine Mitarbeiterin mit blauen Hygienehandschuhen sortiert die abgegebene Neuware. Tisch 1 ist für Waren zum geplanten Verkaufspreis von 90 Rappen. Tisch 2: 1.90 Franken, Tisch 3: 2.90 Franken. Der letzte Tisch ist für Waren teurer als 18.90. Unter den Sortiertischen befinden sich Warenkörbe, worin separat Produkte für besondere Anlässe wie Feiertage und Feste landen.

Ein knallroter Essteller mit Silbersternchen kommt in den Korb für «Promo Weihnachten», ein grasgrüner Flechtkorb in den Behälter «Promo Ostern», mit Quasten verzierte Stoffkleider sind für die Fasnachtszeit bestimmt. «Früher haben wir ausgelagerte, zentrale Sortierbetriebe gehabt», erzählt Brocki-Chef Amstutz, «heute machen die Filialen das selbst.» Die gesamte Disposition findet direkt in den Filialen statt. Zwischen 2000 und 3000 Produkte werden pro Tag ausgezeichnet. Was an Waren reinkommt, muss so rasch wie möglich auch wieder raus.

«Lager versuchen wir klein zu halten, das spart Kosten.» Gelagert werden vorwiegend aussersaisonale Waren wie Winterkleidung im Sommer. «Alles nach Lean-Management-Kriterien», auf neudeutsch. Ein paar Stationen weiter räumt eine Kollegin Ware ins Regal ein und inszeniert die sperrigeren Teile nach Themenwelten auf der 2000 Quadratmeter grossen Verkaufsfläche. Das Antiquariat mit Leseecke befindet sich in einem abgetrennten Ruheraum.

«Die beste Buchhandlung, mit viel Liebe, und so still ist es hier», sagt ein Rentner. Er ist begeistert vom properen Auftritt des Altwarensupermarkts in Wetzikon. «Ich schaue mehrmals pro Woche vorbei.» Ein Kunde im Designeranzug mischt sich ein: «Ich auch.» Er kaufe hier Kleidung und gehe seiner Sammelleidenschaft nach: antike Puppen aus England.

«Die hier ist zwar teuer, aber ein seltenes Fundstück. Das finde ich nur im Brocki.» Die Heilsarmee profitiert von dieser Leidenschaft ihrer Kunden und geht jetzt in die Offensive: jedes Jahr eine neue Brocki-Filiale, das ist der Plan. Shoppen mit Wohlfühlfaktor: Der Geschäftsleiter der Brockis in der Schweiz, Jakob Amstutz, hat das Gebrauchtwarenkonzept der Heilsarmee generalüberholt.

 

Wie die Heilsarmee mit Brockis die Shweiz erobert

Expansionskurs Die Heilsarmee will von 2019 bis 2023 ihr Filialnetz deutlich erweitern. «Es gibt weisse Flecken, die uns interessieren», sagt Brocki-Chef Jakob Amstutz. Das sind Burgdorf BE, Zürich Nord, die Agglomeration von Zürich sowie Yverdon/ Neuenburg. Auch dieses Jahr wird noch ein Standort eröffnet, in Luterbach SO. Zudem befindet sich ein Brocki in Rheinach AG in Planung. Die meisten Filialen sind in Miete, Neubauten sind Eigentum der Heilsarmee. Pro Neueröffnung wird eine halbe Million Franken investiert.

Konkurrenz Die grössten Konkurrenten sind das Hilfswerk Hiob, das mit seinen Brockenstuben in der Schweiz in etwa gleich gross ist wie die Heilsarmee, sowie das Blaue und das Rote Kreuz. Das Blaue Kreuz ist stark in der Ostschweiz, das rote Kreuz betreibt Läden mit Fokus auf den Raum Bern, die unter dem Label La Trouvaille auftreten und auf Kleidung spezialisiert sind.

Online Der Vertrieb über das Internet hat für die Heilsarmee nicht oberste Priorität. «Wir bauen lieber erfahrbare Erlebniswelten aus», erklärt Amstutz die Strategie. Es gebe bereits so viele Web-Anbieter mit einer aufwendigen Logistik, «dass wir bei hohen Kosten unser Alleinstellungsmerkmal untergraben würden».

Autor
Handelszeitung (19.07.2018 )

Publiziert am
19.7.2018