"Das vordergründigste Anliegen ist, dass die Leute für Jesus brennen"

"Das vordergründigste Anliegen ist, dass die Leute für Jesus brennen"

Major Traugott Heiniger unterrichtet an der Erwachsenenbibelschule "Bibel im Fokus".
Major Traugott Heiniger unterrichtet an der Erwachsenenbibelschule "Bibel im Fokus".
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Major Traugott Heiniger lehrt an der Erwachsenenbibelschule "Bibel im Fokus". Ein Interview über Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

Major Traugott Heiniger, was unterrichten Sie an der Erwachsenenbibelschule "Bibel im Fokus"?
Im Rahmen der Erwachsenenbibelschule „Bibel im Fokus“ habe ich in einem ersten Teil die Geschichte des Volkes Israel im AT (2. Mose bis und mit Richter) behandelt. Im zweiten Teil unterrichte ich aktuell die Apostelgeschichte –  wie sich das Evangelium vom Mittelmeerraum über Syrien, die Türkei und Griechenland bis nach Rom ausbreitete. Dazu stelle ich den Bezug zur aktuellen Situation der Gemeindearbeit her.

Welche sind sonst noch Ihre aktuellen Tätigkeiten?
Nach 37 Jahren läuft meine aktive Zeit langsam aus. Momentan gebe ich noch eine Serie Bibelstunden im Korps Frutigen, zum Thema "Die Wunder Jesus". Auch coache ich einen jungen Mann, der sich in einer Lebenskrise befindet. Meine Hauptaufgabe ist aber die des Sekretärs für geistliche Entwicklung am Hauptquartier.

Was ist das denn genau?
Dieses Amt ist von einem früheren General eingeführt worden: Jedes Territorium muss einen Offizier für die geistliche Entwicklung der Korpsoffiziere bereitstellen. Dieser hat zum einen die Aufgabe, Bücher zu prüfen, die sich dafür eignen, dass man sie auch für unser Territorium übersetzt. Ich setze meine Prioritäten darauf, in den Korps tätig zu sein und verschiedene Dienste wie Bibelstunden, Seelsorge oder Predigten anzubieten. Es geht darum, die Menschen in unseren Korps anzuspornen, mit Jesus unterwegs zu sein, ihr Leben mit ihm zu teilen und sich geistlich zu entwickeln. Dazu schlage ich Themen vor, und es ist den Korpsoffizieren überlassen, ob sie das Angebot nutzen wollen oder nicht. Bei dieser Arbeit geht es um die Vermittlung von geistlicher Nahrung. Wenn diese stimmt, muss man sich nicht Sorgen machen, ob und wie die Heilsarmee funktioniert. Das vordergründigste Anliegen ist, dass die Leute für Jesus brennen.

Wie sind Sie selbst zum Glauben gekommen?
Mein Erlebnis war unspektakulär. Als ich in der reformierten Kirche bei meiner Konfirmation vorne stand, stellte mir der Pfarrer eine klare Frage: „Willst du dein Leben mit Jesus führen?“ Und im Herzen antwortete ich „ja“. Beim anschliessenden Mittagessen sagte ich meinen Eltern, Geschwistern, Gotte und Götti, den eingeladenen Korpsoffizieren und allen weiteren Anwesenden: „Ich habe mein Leben Jesus übergeben.“ Das war’s. Später hatte ich immer wieder damit zu kämpfen, dass ich kein „richtiges“ Bekehrungserlebnis gehabt hatte – so wie andere, die plötzlich vom schwarzen zum weissen Schaf wechseln. Aus diesem Grund ging ich manchmal zu meinem Vater in die Seelsorge. Er hatte ein grosses Herz und konnte mir aufzeigen, dass ich dafür vor Vielem bewahrt worden war. Später, als ich als Korpsoffizier mit Jugendlichen zu tun hatte, die aus einem christlichen Elternhaus kamen, war das immer auch meine Intention: ihnen zu vermitteln, dem Sorge zu tragen und wertzuschätzen, was sie mitbekommen hatten, und treu ihren Weg zu gehen. Ich ermutigte sie schon auch, den klaren Schritt zu machen, setzte sie aber nicht unter Druck. Wir dürfen dem Heiligen Geist nicht reinpfuschen, sondern ihm zutrauen, dass der Moment kommt, in dem sie ganz klar vernehmen, dass es Zeit ist, eine Entscheidung zu treffen. Immer versuchte ich auf diese Weise mit Jugendlichen unterwegs zu sein und sie ernst zu nehmen, auch wenn sie vielleicht noch nicht soweit waren.

Als junger Mann wollten Sie in Kanada die Offiziersausbildung absolvieren. Warum haben Sie es schliesslich nicht getan?
Nach der RS hielt ich mich eineinhalb Jahre in Kanada auf. Mein Vorgesetzter, Brigadier McCorquodale, ermutigte mich zu einer Offiziersausbildung, er wusste von meiner Berufung zum Heilsarmeeoffizier. Wegen eines Visums musste ich aber dann kurz in die Schweiz zurückkehren. Drei Wochen später sah ich zum ersten Mal meine Frau. Brigitta hatte nach der Schule ein Jahr im Welschland und eines im Tessin verbracht. Als sie wieder zurückkam, überlegte sie, was sie nun machen sollte. Die einzige noch freie Lehrstelle war Textilverkäuferin im Coop Kreuzlingen, wo mein Bruder die Gartenabteilung leitete. Thomas ist sehr kommunikativ und sprach ihr gegenüber oft von der Heilsarmee. Brigitta war gläubig, aber etwas verloren, was die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde betraf. Zwar liebäugelte sie mit der Heilsarmee, dachte aber, da müsse man hineingeboren sein. Mein Bruder versicherte ihr, dass dem nicht so sei, und lud sie an Auffahrt zu einem Heilsarmee-Kongress in Zürich ein.

Und dort haben Sie Ihre spätere Frau kennengelernt?
Das kam so: Als Brigitta in den Zug nach Zürich stieg, setzte sie sich ins gleiche Abteil wie meine Mutter, die auch an den Kongress fuhr. Meine Mutter ist ebenfalls sehr kommunikativ. Ein Wort ergab das andere, und Brigitta erzählte ihr, sie sei unterwegs zu einem Heilsarmee-Kongress, zu welchem sie ein gewisser Thomas Heiniger eingeladen hatte, ob sie ihn wohl kenne? „Das ist mein Sohn!“, antwortete meine Mutter und nahm Brigitta sogleich unter ihre Fittiche. Über Mittag trafen sich die Mitglieder unserer Familie am See zum Picknick. Dort lernte ich Brigitta kennen. Kurz darauf waren wir schon ein Paar. Das gab in der Heilsarmee zu Beginn aber ziemlichen Widerstand, denn ich hatte schon die Berufung zum Offizier bekommen und sie war nicht einmal Salutistin. Das war noch alte Schule – sie wollten uns sogar auseinanderbringen! Eines Abends, nach einem Evangelisationsanlass mit Offiziersschülern, fingen sie Brigitta und mich getrennt voneinander ab und redeten auf uns ein. Brigitta antwortete ihnen: „Gott wird schon dafür sorgen, dass auch ich eine Berufung bekomme!“ Und sie hat wirklich eine ganz starke Berufung bekommen.

Wohin wurden Sie nach der Offiziersschule ausgesendet?
Unsere Ausbildung dauerte nur ein Jahr statt zwei. Damals waren gleich mehrere Offiziere ausgetreten, und weil ich einen Heilsarmee-Hintergrund hatte, fand der damalige Schulleiter, Oberstleutnant André Sterckx, ich könne schon nach einem Jahr ein Korps übernehmen. Zuerst leiteten meine Frau und ich drei Jahre lang das Korps Seon, wo auch unser erstes Kind, unser Sohn Joel, geboren wurde. Es war eine schöne Zeit. Wir hatten viele Kontakte in der Bevölkerung – mit älteren Leuten, Familien, Kindern und Jugendlichen. Entsprechend enttäuscht waren wir, als wir nach drei Jahren bereits wieder wechseln mussten. Leider konnten wir einige Projekte gar nicht zu Ende führen. Mitten im Aufbau mussten wir gehen, die Leute waren nicht gefestigt. Innerhalb dreier Jahre erfuhr das Korps Seon drei weitere Wechsel, das Korps gibt es jetzt leider nicht mehr.

Sie selbst haben dann ins Toggenburg gewechselt.
Ja, wir übernahmen die Heilsarmee Wattwil, die heute mein Bruder Thomas leitet. In diesem kleinen, klassischen Korps konnten wir ausgiebig mit Jugendlichen arbeiten. Hier kamen auch unsere beiden Kinder Daniel und Tabea zur Welt. Nach vier sehr schönen Jahren wechselten wir nach Zürich-Oerlikon, das heute Zürich-Nord heisst. Dieses im Vergleich grosse Korps kam zu jener Zeit in einer Baracke zusammen, die am Sonntagmorgen jeweils komplett gefüllt war. In einem winzigen Nebenraum beteten wir, und für die Sonntagsschule hatte ich einen alten Wohnwagen ausrangiert. Obwohl es viele Anfechtungen gab, war auch dies eine sehr schöne Zeit. Als ich kürzlich im Korps Zürich-Nord eine Gastpredigt hielt, kam ein Ehepaar auf mich zu, welches damals den Anschluss an die Heilsarmee gefunden hatte, als wir dort Korpsoffiziere waren. Das hat mich sehr gefreut!

Und wie ging es weiter?
Es folgten sieben Jahre im kleinen Korps Brienz, auf die wir als einen der Höhepunkte unserer Laufbahn zurückblicken. Unsere drei Kinder besuchten damals die erste, dritte und vierte Klasse. In Brienz fiel uns auf, dass viele Jugendliche und sogar Kinder Probleme mit Alkohol und Drogen hatten. Das erschütterte uns. Viele Jugendliche wurden von ihren Eltern regelrecht zum Trinken ermutigt! Im Korps selbst gab es nur wenige Kinder und so waren unsere Söhne und unsere Tochter recht einsam. Sie taten mir leid. Sie waren mit uns gekommen, weil wir Offiziere waren, hatten aber selbst keine Freunde gefunden. Da dachte ich: Was können wir für dieses Dorf und gleichzeitig für unsere Kinder tun? „Suchet der Stadt Bestes“ (Jeremia 29,7) kam mir in den Sinn. So ging ich vor die Schulbehörde und schlug vor, einen Gospelchor für Kinder und Teenager zu gründen. Als ich das Projekt in der nächsten Schulversammlung vorstellte, fand sich die halbe Schule von Brienz samt Lehrer in der Aula ein. In der folgenden Woche fingen wir an. Zuerst kamen etwa ein Dutzend Kinder, gegen Ende waren es 40. Wir probten regelmässig, einmal die Woche, und hatten ein Ziel: ein grosses Gospelkonzert in der Kirche Meiringen mit John Brack und Jeff Turner. Und dieses Konzert kam zustande! Dank einer grosszügigen und kostenlosen Werbekampagne in der Lokalzeitung war die Kirche gestossen voll – es kamen rund 800 Personen! Das war ein tolles Highlight! Unser eigenes Haus war danach ein richtiges Bienenhaus: Vor allem Mädchen aus dem Gospelchor gingen bei uns ein und aus und erzählten insbesondere meiner Frau von ihren Problemen, ihrem Liebeskummer und so weiter. Das war sehr spannend, und noch lange Zeit, nachdem wir Brienz verlassen hatten, erhielten wir E-Mails von jungen Frauen, die uns ihr Herz ausschütteten.

Und Ihr nächster Wechsel führte Sie nach Langnau im Emmental.
Ja, und auch dies war es eine sehr schöne Zeit. In Langnau erlebten wir eine erfreuliche Allianzarbeit. Allerdings war es dann sehr hart, von dort wegzugehen, weil wir noch viele Pläne hatten. Uns von diesem Korps zu verabschieden und unsere Kinder zurückzulassen, die nun ihre eigenen Wege gingen, kostete uns damals viel Mühe. Das Korps Basel 1, in das wir wechselten, war ganz anders und der Einstieg fiel uns nicht leicht. So plötzlich ohne Kinder, durchlitten wir auch als Ehepaar eine persönliche Krise – auf einmal wussten wir nicht, wie wir zu zweit zurechtkommen sollten. Eigentlich hätten wir ja jetzt mehr Zeit für uns selbst gehabt, aber das Korps verlangte uns viel ab. Meine Frau und ich sind Leute, die sich nicht gut abgrenzen können. Wir waren sehr eingespannt und in der Freizeit zu müde, um noch etwas zu unternehmen. Dank KSM Roland Stettler, der unsere rechte Hand war, schafften wir es überhaupt, dieses Korps zu führen. Nach fünf Jahren baten wir zum ersten Mal selbst um einen Wechsel für eine andere Aufgabe, was der damalige Divisionschef August Martin, zusammen mit Verantwortlichen aus dem HQ, uns auch ermöglichte. Zuerst wechselte ich 2011 für ein Jahr nach Adelboden, weil das dortige Korps für ein Jahr keinen Korpsoffizier bekam. Das war vielleicht mein schönstes Offiziersjahr und ein versöhnlicher Abschluss meiner 32 Jahre als Korpsoffizier. Brigitta war zwar bereits am Hauptquartier tätig, kam jedoch jeweils am Wochenende nach Adelboden und arbeitete zwei Tage die Woche im Home Office. Die Leute dort mochten uns und wollten uns auch behalten. Trotzdem wusste ich, dass es Zeit war, etwas anderes zu machen. So kam ich ans Hauptquartier und übernahm das Amt des Sekretärs für geistliche Entwicklung.

Eines Ihrer lebenslangen Hobbys ist Musik. Sind Sie da immer noch aktiv?
Viele Jahre habe ich als Prinzipal-Cornettist in der Offiziersmusik der Heilsarmee gespielt. Auch dirigierte ich die Offiziersmusik einige Jahre lang. Heute machen nur noch wenige Offiziere Blasmusik, so dass wir das Projekt einstellen mussten. Aktuell leite ich noch den Frauen- und gemischten Chor des Korps Bern, werde aber dieses Amt im Sommer abgeben. Zuhause steht auch eine Gitarre, auf der ich immer wieder mal spiele.

Wie geht es nach der Pensionierung für Sie weiter?
Wenn dies erwünscht ist, könnte ich beim Bildungszentrum weitermachen. Und sollte ich nach meiner Pensionierung angefragt werden, so bin ich gerne bereit, weiterhin Bibelstunden, Seelsorge oder Predigten in den Korps anzubieten. Privat sind meine Frau und ich von Bümpliz nach Langnau ins Emmental gezogen. Dort haben wir ein altes Haus mit drei Wohnungen gekauft. Nun sind wir dran, eine der Wohnungen zu renovieren, so dass wir eine der zwei Vierzimmerwohnungen vermieten können. Die kleine Zweizimmer-Dachwohnung möchten wir nach deren Renovation anderen Personen für eine gewisse Zeit als Rückzugsort zur Verfügung stellen. Ebenfalls unter dem Dach planen wir zudem einen Ort der Begegnung für Andachten, Lesungen, Bastelnachmittage und – zusammen mit unseren Kindern, so sie denn mitmachen – kleine Abendkonzerte.

 

Zur Person

Aufgewachsen mit fünf Geschwistern in einer christlichen Familie, lernt Traugott Heiniger von Kindsbeinen an, dass Gott die Menschen liebt und für alle, die ihm vertrauen, einen Plan hat. Er besucht Kinderstunden, später auch Gottesdienste und andere Angebote der Heilsarmee Frauenfeld. Obligatorische Schule, dann Lehre als Maschinen-, Fein- und Werkzeugmechaniker (heute Polymechaniker). Nach der Musiker-RS und eineinhalb Jahren Kanada-Aufenthalt lernt Traugott Heiniger Brigitta Widmer kennen, die er später heiraten wird. Die Offiziersschule in Bern absolvierte er von 1979 bis 1980. Ab 1980 führt die Offizierslaufbahn die wachsende Familie nach Seon, Wattwil, Zürich-Oerlikon, Brienz, Langnau, Basel 1 und Adelboden. Nach 32 Jahren als Korpsoffizier wirkt Major Heiniger seit 2012 am Nationalen Hauptquartier in Bern als Sekretär für geistliche Entwicklung und teilweise auch als Coach. Seine Hobbys sind Musik, Holzwerken, Sport und Naturfotografie. Dem Ehepaar wurden drei Kinder geschenkt, die heute alle auf sehr hohem Niveau musizieren, sowie vier Grosskinder.

 

Autor
Interview: Livia Hofer

Publiziert am
17.4.2018