"Die Heilsarmee begegnet den Menschen auf Augenhöhe"

"Die Heilsarmee begegnet den Menschen auf Augenhöhe"

Migrationskonferenz 2017 / Conférence sur la migration 2017
Migrationskonferenz 2017 / Conférence sur la migration 2017
© Livia Hofer / Lizenzfrei

150 Personen nahmen am Freitag, 19. Mai, an der Migrationskonferenz 2017 teil, organisiert vom Sozialwerk der Heilsarmee.

150 Menschen, das seien 150 Experten, so die einleitenden Worte des Direktors Heilsarmee Sozialwerk, Daniel Röthlisberger. „Es braucht alle von uns, wir wollen voneinander lernen.“

Als Erster begab sich Pius Betschart ans Rednerpult, der das Plenum über die aktuellsten Entwicklungen im Asylbereich ins Bild setzte. Der Vizedirektor Direktionsbereich Asyl, Staatssekretariat für Migration, startete seine kurze, prägnante und sehr informative Rede, indem er ein Foto des Kinderspitals von Aleppo auf die Leinwand projizierte: eine komplette Ruine, ein zerstörtes Geisterhaus, ein Bild des Elends. „Niemand hat Zweifel daran, warum die Menschen in unser Land flüchten“, sagte der hohe Beamte des Bundes.

Mit 4000 Asylgesuchen pro Jahr leiste die Schweiz denn auch einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung der weltweiten Flüchtlingskrise. Gleichzeitig fliessen aber auch jedes Jahr 0,25 Milliarden Franken in Investitionen vor Ort, damit die Menschen in ihrer Heimat bleiben und dort eine Perspektive haben.

Da sein für Schutzbedürftige
Nach der grossen Flüchtlingswelle 2015/16 ist es nun ruhiger. Hauptaufgabe sei jetzt die Integration. Dies könne sich aber rasch ändern. Die Schweiz sei auf den Notfall vorbereitet. Das gut eingeübte Notfallkonzept sieht Anlaufstellen, Schnellregistrierung, medizinische Versorgung und planmässige Verteilung auf die Kantone vor. „Wir sind gut aufgestellt“, versicherte Pius Betschart.

Die Schweiz sei in der Lage, in einem 48-Stunden-Verfahren über das Schutzbedürfnis einer Person zu entscheiden. Dies bringt es mit sich, dass die Schweiz von Gesuchstellern, die kein wirkliches Bedürfnis nach Schutz aufweisen, gemieden wird. „Wir wollen da sein für jene, die Schutz brauchen“, sagte er. Die Schweiz sei heute ein Transitland nach Deutschland, Schweden oder den Niederlanden. Nur etwa 15% der Asylgesuche werden in der Schweiz gestellt.

Heilsarmee begegnet Menschen auf Augenhöhe
Wichtig bei der Integration sei die Rolle der Zivilgesellschaft. Die Heilsarmee Flüchtlingshilfe (HAF) mit ihren 2000 Plätzen, 20 Kollektivunterkünften und zahllosen Freiwilligen besitze eine Riesenerfahrung in diesem Bereich: „Man spürt das Engagement der Heilsarmee“, so Pius Betschart. „Sie begegnet den Menschen auf Augenhöhe, und dafür gebührt ihr grosser Dank.“

Unter der humorvollen Moderation von Michel Sterckx, Leiter Stabsstelle Projekte, und Marius Frey, Xpand Schweiz GmbH, folgte der Vormittag seinem Lauf. Dabei hatte das Publikum keineswegs Handyverbot, sondern wurde gar zu Interaktionen via Mobile Phone eingeladen.

Lukas Flückiger, Geschäftsleiter HAF, stellte im Anschluss einige Fragen an Maria Khoshy. Die junge, sehr gut integrierte Afghanin war mit ihrer Familie vor der Bedrohung durch die Taliban geflüchtet. Sie absolviert zur Zeit eine Lehre als Büroassistentin im Hauptquartier der Heilsarmee in Bern und engagiert sich in ihrer Freizeit in der Integration von unbegleiteten Minderjährigen Asylsuchenden.

Menschen – nicht „Aufträge vom Kanton“
Nach diesen eindrücklichen Voten im Plenarsaal verteilte sich die Zuhörerschaft auf insgesamt sechs Workshops, die in deutscher, französischer und englischer Sprache gehalten und simultan in die jeweils anderen Sprachen übersetzt wurden. Hier einige Beispiele:

Im Workshop „Unterkunft und Betreuung – Werden wir den Grundbedürfnissen der Personen mit Fluchthintergrund gerecht?“ berichtete Manfred Jegerlehner, Leiter AKiB Passantenhilfe und Sozialberatung Bern, von einer Frau aus Kongo. Die lange Liste der Gefahren, Nöte, seelischen und körperlichen Schmerzen, welche der Kongolesin, Mutter dreier Kinder, seit ihrer Flucht widerfahren waren, liess das Ausmass der traumatischen Erlebnisse von Menschen erahnen, die alles zurücklassen, um sich selbst und ihre Angehörigen zu schützen. “Den Kriegen im Kongo sind 4,5 Millionen Menschen zum Opfer gefallen“, gab Manfred Jegerlehner zu bedenken. In der Arbeit mit Flüchtlingen dürfe man diese nicht als „Aufträge vom Kanton“ ansehen, sondern als Menschen, die stark verunsichert und gehetzt sind, die sich nach einem Ankommen in Ruhe sehnen. „Wichtig ist, mit ihnen zu teilen. Sie zu umarmen und zusammen in das hineinzuwachsen, was Gott mit uns gemeint hat.“

Empathie ist notwendig
Traumatisierte Asylsuchende waren auch das Thema des Workshops „Wie können wir Menschen des Asyl- und Flüchtlingsbereichs sowie die Mitarbeitenden seelisch und emotional unterstützen?“ Roland Stettler, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Präsident der Ethikkommission, führte darin aus, wie zu den Herausforderungen der Asylsuchenden - Unsicherheit bezüglich der Aufenthaltsdauer, Erlernung der Sprache, das Finden einer Wohnung und einer Arbeitsstelle - in vielen Fällen psychische Probleme hinzukämen: „Die Menschen sind traumatisiert: Angst, Depressionen, Schmerzen, Süchte, Schuldgefühle, Verbitterung oder Wut sind Zustände, in die sie sich befinden und auf die sie unterschiedlich reagieren“, so Stettler. Die einen mit seelischer Stumpfheit, andere mit emotionalen Schwankungen, und wieder andere, indem sie die Erinnerungen an das Erlittene um jeden Preis vermeiden. Bei der Arbeit im Asylbereich sei es deshalb wichtig, Flüchtlingen mit Fachwissen und Empathie zu begegnen.

Perfekt organisiert
Von der Schnittstelle zwischen Flüchtlingshilfe und Inhaftierungen berichtete Majorin Hedy Brenner, Leiterin des Gefängnisdienstes - namentlich dort, wo aus Gründen der Ausschaffung oder der Kriminalität die Zusammenarbeit von HAF und Gefängnisdienst wünschenswert sei. Diese Zusammenarbeit bezeichnete Hedy Brenner als Miteinander unter Einbezug der Flüchtlinge. „Für viele Flüchtlinge ist Gefängnis gleichzusetzen mit Käfig, Kerker und Folter“, so Brenner. Um Ängste abzubauen sei es nötig, mit Vertrauen in die Gespräche hineinzugehen und den betroffenen Asylsuchenden aufzuzeigen, wie Schweizer Gefängnisse funktionieren.

Die Konferenz in der Pauluskirche Bern wurde von Fernanda Gurzeler, Leiterin Fachstelle Migration und Asyl, und Marianne Lanz, Leiterin Administration/Organisation Sozialwerk, perfekt organisiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ausgebuchten Anlasses genossen beim Mittagessen die kulinarischen Köstlichkeiten der Kollektivunterkunft Sandwürfi.

Am Nachmittag ging es nicht minder professionell, praxisnah und engagiert weiter: mit der Gruppenarbeit „Zukunftswerkstatt“ und der Podiumsdiskussion „Worauf muss die Heilsarmee bei ihrer zukünftigen Migrationsarbeit achten?“ Ein starker Tag, der nach Wiederholung schreit.

 

Autor
Livia Hofer

Publiziert am
19.5.2017