Normal ist die Vielfalt, das Vorhandensein von Unterschieden

Normal ist die Vielfalt, das Vorhandensein von Unterschieden

Am 18. und 19. Januar fand in der Curling Bahn Allmend die Führungsschulung 2017 des Sozialwerks statt.

Humor und Überzeichnung machen Kritik viel wirksamer – ein Ansatz, den zahlreiche Kabarettisten pflegen. Dies war auch der Einstieg in den zweiten Nachmittag der Führungsschulung 2017, als der Führungsgrundsatz „Ich begegne mit Wertschätzung“ auf dem Programm stand. Ein kleines Theaterstück - in der negativ besetzten Hauptrolle Daniel Röthlisberger (Abteilungsleiter Sozialwerk) selbst – führte vor Augen, wie in alltäglichen Situationen Menschen so ziemlich gegenteilig behandelt werden, als was man unter Wertschätzung versteht.

Wertschätzung – was ist das?

„Wertschätzung ist kein Instrument, kein Modell, keine Option und kein Luxus. Wertschätzung ist eine Haltung“, betonte Michel Sterckx (Leiter Stabsstelle Projekte) in seiner Präsentation. Selbst dann, wenn wir von Menschen enttäuscht werden, können wir Wertschätzung ausüben. „Dies ist möglich, wenn wir die Person von ihren Worten, ihren Taten und ihren Leistungen trennen“, so Sterckx. Und auch: „Wertschätzung beginnt bei mir selbst.“

Um diesem Gedanken nachzugehen, bildeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kleine Gruppen. Das “Walk&Talk“ sah zwar Gesprächsspaziergänge vor, jedoch getrauten sich nur wenige nach draussen vor die Curling Bahn – es herrschten eisige Temperaturen, und eine zünftige Bise zog über die Allmend. Die meisten blieben in den Hallen, verteilten sich auf die kleinen und grossen Tische, und es entstanden engagierte Diskussionen. In ausgetauschten Erfahrungen, theoretischen Überlegungen und einem spritzigen Film von einer Strassenumfrage, gedreht von Lernenden der Heilsarmee in Bern, ging man dem Begriff der Wertschätzung nach. Zahlreiche Inputs und eine erstaunliche Vielfalt der Gedanken waren das Resultat.

Nicht Gleichheit, sondern Gleichwertigkeit

Wertschätzung als Führungsgrundsatz schloss an den vorangehenden Tag, als die rund 120 Führungskräfte des Sozialwerks unter der Leitung von Daniel Röthlisberger, Michel Sterckx und dem Theologen Oliver Merz den sozialen Begriff der Inklusion erörterten. Inklusion (siehe Skizze) geht noch einen Schritt weiter als Integration. Inklusion steht auf der Grundlage der Liebe Gottes und sagt aus, dass alle Menschen gleichwertig sind, wenngleich unter den Menschen nicht Gleichheit herrscht. Diese Gleichwertigkeit hat einen Einfluss auf unseren Umgang mit anderen Menschen – mit Mitarbeitenden und Klienten –, der von Respekt und eben Wertschätzung geprägt sein muss.

„Jeder Mensch hat ein anderes Potenzial, andere Ressourcen, andere Talente“, resümiert Marco Innocente, Geschäftsleiter Institutionen Ost. „Es gilt, in den Institutionen der Heilsarmee Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, damit sich jeder Mensch mit seinen Gaben einbringen und sein Leben leben kann.“ Je nach Institution handelt es sich dabei um Menschen in Randständigkeit oder mit einem Suchtproblem, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit einer Demenz oder mit einer körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigung.

Auch Inklusion hat Grenzen

Nicht ausgeklammert wurde an der Tagung, dass auch die Inklusion ihre Grenzen hat: „Aus verschiedenen Gründen, zum Beispiel aufgrund der finanziellen oder personellen Lage einer Institution, können wir nicht beliebig viel Individualität gewähren“, so Marco Innocente weiter. „Es gibt Klienten, die Inklusion gar nicht wollen: Wenn sie eine Mahlzeit und ein Dach über den Kopf erhalten, möchten sie einfach in Ruhe gelassen werden.“ Dies gelte es selbstverständlich zu respektieren.

Ebenso sei ein Zusammenleben ohne Strukturen gar nicht möglich, weder in den Institutionen der Heilsarmee noch in der Gesellschaft überhaupt. „Ab einem gewissen Punkt muss ich mich zum Wohle des Ganzen ins zweite Glied stellen.“ Dies aber ändere nichts am Grundsatz der Gleichwertigkeit, welcher der Inklusion innewohnt und motiviert ist durch den Glauben an Gott. Dabei könne Normalität nicht vorausgesetzt werden. „Normal ist vielmehr die Vielfalt, das Vorhandensein von Unterschieden“, so Innocente. Auch bedeute Inklusion nicht einfach „da sein“, sondern „dabei sein“ – dass eine Person auch vermisst wird, wenn sie mal abwesend ist.

Ein lehrreicher Anlass

Mit Reflexionen, Selbsteinschätzungen, Gesprächen in Gruppen, Fragebogen, humoristischen Einlagen, Interviews und Präsentationen verfolgte die Führungsschulung 2017 des Sozialwerks auf sehr praktische Art und Weise die Konzepte der Inklusion und der Wertschätzung. Vorgestellt wurden auch verschiedene Projekte, zum Beispiel das interne Coaching, der Perspektivenwechsel oder das Projekt Magellan. Und so ging am Donnerstagabend ein kurzweiliger, lehrreicher, von Herzlichkeit und Austausch geprägter Anlass zu Ende.
 

Autor
Livia Hofer

Publiziert am
20.1.2017