"Wir möchten wiedererlangen, was uns abhandenkam"

"Wir möchten wiedererlangen, was uns abhandenkam"

Die Raupenart Nsani gata (Samia ricini) stammt aus Indien, wurde aber von der Bevölkerung im Zentralkongo sofort akzeptiert.
Die Raupenart Nsani gata (Samia ricini) stammt aus Indien, wurde aber von der Bevölkerung im Zentralkongo sofort akzeptiert.
© Daniel Ambühl / Limitierte Rechte

Mit Speiseraupen gegen den Hunger: Die Heilsarmee unterstützt im Zentralkongo ein Pionierprojekt zur Bekämpfung der Unterernährung.

Essbare Raupen sind ein reichhaltiges und sehr gesundes Lebensmittel. Zudem sind sie im Kongo eine Delikatesse. Durch die Zerstörung der Wälder sind die Raupen aber grösstenteils ausgestorben. Ein Team rund um den Biologen Augustin Konda ku Mbuta engagiert sich im Hinterland von Kongo, einem der ärmsten Gegenden der Welt, die Raupen wieder anzusiedeln und damit die Unterernährung zu bekämpfen.

Augustin Konda, wie entstand Ihr Projekt?
Von 2002 bis 2008 arbeitete ich eng mit Paul Latham zusammen (Major Paul Latham, Heilsarmeeoffizier im Ruhestand, ist Pionier der Ethnoentomologie, der Wissenschaft von der Beziehung zwischen Menschen und Insekten, Anm. d. Red.). Paul Latham untersuchte als erster das natürliche Habitat im Zentralkongo. So kamen wir auf die Idee, auch die lokalen essbaren Raupensorten zu studieren. Ein sehr grosses Problem im Zentralkongo ist die Zerstörung der Wälder. Diese findet seit einigen Jahrzehnten statt, weil die Bevölkerung aus dem Verkauf des Holzes ihr Überleben sichert. Doch dadurch sind auch die Raupen verschwunden. Deshalb arbeiten wir deshalb am Projekt „Songa Nzila“ (den Weg zeigen). Es gilt, die Wälder wieder aufzuforsten, die den Raupen als Nahrungsquelle dienen, und die verschwundenen Insekten wieder anzusiedeln.

Was beinhaltet das Projekt?
Unser Raupenzuchtprojekt in Kilueka im Zentralkongo ist weltweit einzigartig. Zusammen mit der Bevölkerung ist ein Team unter meiner Leitung mit der Kultivierung der Futterpflanzen der Raupen engagiert: In den Dörfern errichten wir Plantagen mit Rizinus, Maniok und anderen Futterpflanzen. Unser Forschungsteam sucht nach überlebenden Populationen grosser afrikanischer Raupen in der Natur und vermehrt diese im Labor. Danach bringen wir die Raupen in die Dörfer und lehren die Bewohner, wie sie sie aufziehen und schützen müssen, damit sie sich verpuppen und daraus Nachtschmetterlinge schlüpfen, die viele Eier legen. Es gibt Raupenarten mit sechs Lebenszyklen im Jahr. Natürlich ist es interessant für die Bevölkerung, Raupen mit kurzen und häufigen Generationen zu züchten.

Weshalb ist es überhaupt notwendig, die Raupen zu züchten?
Mit den wachsenden Bevölkerungszahlen reicht es nicht mehr, die Natur walten zu lassen, da nur noch zu wenige oder gar keine Raupen mehr vorkommen. Deshalb beschäftigen wir uns mit der Zucht und der Domestizierung der lokalen Raupenpopulationen. Hier sind ein abtastendes Vorwärtsschreiten und einige Forschung nötig. Rund 30 Personen arbeiten am Projekt „Songa Nzila“ – Biologen, Agronomen, Imker und Arbeiter. Über ihre Tätigkeit erstellt das Laborteam auch Manuals, die es ermöglichen sollen, auch in anderen Gegenden Raupenzucht zu betreiben.

Ist es für die Menschen im Kongo denn kein Problem, Raupen zu essen?
Nein ganz im Gegenteil. Raupen gelten in unserer Gegend als Delikatessen und bilden seit jeher einen wichtigen Teil der traditionellen Ernährung. Wir lieben dieses Nahrungsmittel! Raupen zu essen ist ein Teil unserer Identität. Das taten schon unsere Vorfahren. Im Zentralkongo sind Raupen ein Synonym für Reichtum. Wenn die Raupensaison kommt, sind die Menschen reich, denn dann haben sie alles, was sie brauchen. Doch nicht alle Raupen sind essbar. Speiseraupen nennen wir Mbinzo. Makedikedi (Bunaea alcinoe), Nvinsu (Imbrasia epimethea), Bisu (Imbrasia petiveri) oder Kaba (Lobobunaea phaedusa) sind einige der insgesamt 30 verschiedenen, lokalen, essbaren Raupenarten. Rund um die Raupen gibt es im Zentralkongo fast 100 Begriffe. Dies zeigt auf, wie wichtig diese Insekten für die lokale Bevölkerung sind.

Wie wird die Bevölkerung in dieses Projekt einbezogen?
Manchmal kommen Leute aus der Bevölkerung ins Labor und bringen uns Raupen, die sie in der Natur gefunden haben. Traditionellerweise sind es die Frauen und die Kinder, welche die Raupen in der Natur einsammeln. Bei der Aufzucht der domestizierten Raupen können auch die grösseren Schulkinder mithelfen. Insbesondere ist diese Tätigkeit aber für die älteren Menschen interessant, die somit einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten können, selbst wenn ihre Kraft für die Arbeit auf dem Feld nicht mehr ausreicht. Insgesamt lautet die Devise "No tech": Für die Zucht der Raupen ist die Bevölkerung von keinerlei Gerätschaften abhängig.

Ist das Klima für die Raupenzucht förderlich?
Die Temperaturen liegen im Zentralkongo bei 25 bis 27 °C ohne grosse Schwankungen. In der Regenzeit, die jährlich acht Monate dauert, ist es eher etwas wärmer. Es gibt vier Trockenzeit, welche die Raupen problemlos überstehen. Somit ist die Raupenzucht das ganze Jahr möglich.

Sind Raupen ein gesundes Lebensmittel?
Die Raupen bilden eine sehr reichhaltige Ernährung. Es gibt verschiedene Proteine darin und viele essenziellen Aminosäuren. Ebenso enthalten sie zahlreiche Minerale und Vitaminen. Raupen bilden eine komplette Mahlzeit und eignen sich im hohen Masse für eine Bevölkerung, die nicht viele Ressourcen hat.

Wie werden die Raupen verzehrt?
Man kann die Raupen frisch essen. Indem man sie trocknet oder räuchert, können sie auch haltbar gemacht und konserviert werden – vor allem dann, wenn sie in grossen Mengen vorkommen. Zur Haltbarmachung gibt es auch traditionelle Methoden.

Was tut die Heilsarmee für dieses Projekt?
Als Partnerin des Projekts "Songa Nzila" stellt die Heilsarmee Internationale Entwicklung für drei Jahre einen Betrag von CHF 681 900.- zur Verfügung. Das Projekt begünstigt 30 Dörfer in der Umgebung von Kilueka mit insgesamt über 10 000 Menschen, in denen insgesamt zwei Tonnen Raupen pro Jahr produziert werden.

Wir bedanken uns für das Interview und wünschen Ihnen, dass Ihr Projekt gelingt!
Wir wünschen uns sehr, dass unser Projekt gelingt, denn es ist ein Projekt aus unserer Seele und aus der Kultur Afrikas. Ich persönlich schätze mich glücklich, eine Zeit des grossen Raupenüberflusses erlebt zu haben, als ich ein Kind war. Die Natur ist sehr grosszügig. Damals starb niemand Hungers. Es tut mir im Herzen weh, wenn ich heute die Kinder mit den grossen Hungerbäuchen sehe, denn es herrscht klar Unterernährung. Unsere grosse Aufgabe ist, die Raupen wieder anzusiedeln und die Leute zu instruieren, die Raupen selbst aufzuziehen. Dann gibt es wieder genug zu essen. Dies ist nicht nur ein Projekt, das die Menschen akzeptieren, sondern sich gar herbeiwünschen: Wir möchten wiedererlangen, was uns abhandenkam.

 

Wer ist Augustin Konda?

Augustin Konda ku Mbuta ist Ethnopharmakologe und der bekannteste Biologe Kongos. Geboren im Bas-Congo (Zentralkongo) im kleinen Ort Kilueka, war er ein aussergewöhnlich guter Schüler und fast schon ein Wunderkind, obschon er aus einer einfachen Familie stammt, in welcher niemand lesen und schreiben konnte. Augustin Kondo ist nach Kilueka zurückgekehrt, um mit dem Raupenprojekt „Songa Nzila“ zu helfen und die Unterernährung zu bekämpfen. Er ist Autor vieler Bücher und Publikationen über Nutzpflanzen Afrikas und einer der besten Kenner der Kultur des Bas-Congo.

Literatur zum Thema

Im kleinen Dorf Kilueka in der Demokratischen Republik Kongo kündigt sich eine Weltneuheit an: Raupen von grossen Nachtfaltern werden als landwirtschaftliche Nutztiere gezüchtet für die Ernährung der Bevölkerung. Die Domestizierung und Zucht der "Mbinzo" – so lautet der Name der afrikanischer Speiseraupen – ist Thema des gleichnamigen Buches von Daniel Ambühl. Der Autor, ein Schweizer Pädagoge, Künstler, Publizist, Pilz- und Insektenzüchter, lebt jedes Jahr viele Monate in Kilueka, wo er zusammen mit dem Biologen Augustin Konda ku Mbuta  das Projekt "Songa Nzila" zur Zucht essbarer Raupen aufbaut.
"Mbinzo" – Esskultur und Zucht afrikanischer Speiseraupen, Daniel Ambühl und Augustin Konda ku Mbuta, gebunden, 164 Seiten, Skyfood Verlag 2019, ISBN 978-3-9524760-2-4, Bestellung online: skyfood.ch

Autor
Interview. Livia Hofer

Publiziert am
2.12.2019