"Zürich West ist ein Teil Naherholungsgebiet"

"Zürich West ist ein Teil Naherholungsgebiet"

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Interview von Kulturmeile Zürich West mit Thomas Wirth, Filialleiter Heilsarmee brocki.ch/Zürich.

Was fasziniert/mögen Sie so an Brockis?
Das Faszinierende finde ich, dass man mit Brockis die Möglichkeit hat, etwas gegen den Überfluss und diese Wegwerfgesellschaft zu tun. Dazu kommt dieser Sammler- und Jägeraspekt, also jene Menschen, die Freude daran haben, bei uns ein Wählscheibentelefon oder Schallplatten zu erwerben, das gefällt mir sehr gut. Ausserdem sind die Brockis der Heilsarmee gewinnorientiert und unterstützen so beispielsweise das Wohnheim von nebenan. Insgesamt sind das 15 Projekte, die wir damit unterstützen können.

Was zeichnet dieses Brocki ganz speziell aus? Wie unterscheidet es sich im Vergleich zu ähnlichen Läden?
Wir haben eine sehr urbane Kundschaft. Das sind Touristen aus Asien, das können Obdachlose sein, die einen Schlafsack brauchen, das können Sammler oder auch begüterte Leute sein, die Spass daran haben, ein Stilmöbel zu suchen. Es ist die absolut durchmischte Kundschaft aus dem Quartier, die uns ausmacht. Action und Events sind bei uns möglich und erwünscht. Wir sind mitten im Quartier und möchten dieses mitgestalten.  

Welche Art von Veranstaltungen richtet das Brocki denn aus?
Der grösste Event ist jeweils im September: Die Viaduktnacht. Letztes Jahr hatten wir eine Brocki-Party mit Heilsarmeemusik, zwei DJs, mit Kinderprogramm und Alphornspielern. Wir haben acht Abendverkaufsdaten, jeweils mit Live-Musik. Ausserdem gibts an einem fixen Datum Sommer- und Winterkleiderverkauf, der jeweils für einiges an Action sorgt. Wir hatten letztens auch einen Einrichtungstippsabend. Sie sehen schon, bei uns läuft regelmässig etwas.

Welches ist das unvergesslichste/denkwürdigste Objekt, das sie bisher hier im Laden hatten?
Mir fällt spontan eine deutsche Frau ein, die hier in Zürich gearbeitet hat und weil sie schwanger war, zurück nach Deutschland zog. Einige Tage vor ihrer Abreise war sie bei uns und entdeckte dabei ein Bild von Zürich. Sie hat das Bild gekauft, damit sie ihrem Kind, wenn es denn einmal auf der Welt ist, zeigen kann, wo sie einst gearbeitet hat. Oder letzte Woche kam ein Herr, der eine Fleischschneidemaschine kaufen wollte, diese aber zuerst testen wollte. Also schloss er das Gerät an, zückte eine Packung Landjäger und begann, diesen im Laden zu schneiden. Oder wir hatten eine Kundin, die an der Kasse eine Säge verlangte, weil sie einen halben Tisch wollte. Wer einen ganzen Tisch zahlt, kann ihn natürlich auch entzweien. Also zersägte sie tatsächlich direkt vor dem Brocki einen Tisch in zwei Teile und nahm einen davon mit und liess den anderen hier zurück. Es gibt wirklich alles, wir haben schon 300 Schuss scharfe Munition angeliefert bekommen, die wir dann der Polizei melden mussten. Und so gibt es unzählige persönliche Geschichten, die diesen Ort hier lebens- und liebenswert machen und uns so auch von der Onlinekonkurrenz unterscheidet.

Woher stammt der Grossteil Ihrer Verkaufsobjekte?
Das sind alles Objekte, die gespendet wurden. Uns kann man nichts verkaufen, sondern wir nehmen alles an, was nicht mehr gebraucht wird: Möbel, Geschirr, Kleider, Schallplatten. Es sind alles Spenden.

Wie christlich ist das Brocki heute noch?
Christlich geprägt ist das Brocki, dem ist absolut so. Ich persönlich besuche eine Freikirche, aber das ist ganz unterschiedlich bei den Angestellten. Sie stehen aber hinter der Arbeit, finden den Zweck sinnvoll und machen einen guten Job. Deshalb sind sie hier.

Was schätzen Sie persönlich an Zürich West besonders und welches ist ihr ganz eigener Lieblingsort im Quartier?
Für mich persönlich ist das Zentrum der Geroldsgarten. Hier ist etwas los, besonders am Freitagabend. Aber ich finde auf Grund der Vermischung das ganze Quartier toll. Wir haben einen FREITAG, einen Hutmacher, Ateliers und weiter vorne die Viaduktbögen. Der ganze Mix ist grossartig. Ich kenne in der ganzen Schweiz nichts Vergleichbares. Es lebt, das pulsierende, das unkomplizierte und irgendwo auch das künstlerische Leben, das sich mit dem Kommerziellen in der Mitte wunderbar trifft. Das ist sehr spannend und wir sind eine tolle Ergänzung für diesen Mikrokosmos.

Wie hat sich Zürich West verändert in den letzten Jahren?
Es wurde ein wenig kommerzieller. Es gab neue Bürogebäude, deshalb bin ich auch gespannt, wie es hier in 20 oder 30 Jahren aussehen wird. Ich hoffe auf alle Fälle, dass es noch lange so bleibt! Hier kreuzen sich Banker, Familien, Obdachlose, Junge und Alte. Die Interaktion ist, was dieses Quartier und speziell unser Brocki ausmacht.

Was wünschen Sie sich für Zürich West?
Ich würde mir wünschen, dass ein Platz wie der unsere, also vom Bahnhof Hardbrücke bis hin zu den Bögen, bestehen bleiben könnte. Weil wenn das einmal platt gemacht und neu gebaut wird, ist die Seele draussen. Dann ist es nicht mehr so unverwechselbar, das gibt es dann überall. Zürich würde an Charakter verlieren, wenn das hier eines Tages nicht mehr sein sollte. Zürich West ist ein Teil Naherholungsgebiet.

Weshalb ist das Brocki Mitglied in der Kulturmeile Zürich West?
Wir sind Mitglied, weil wir uns als Teil des Ganzen verstehen und da wo es möglich ist, auch etwas beitragen möchten. Ich bin als Filialleiter daran interessiert, dass wir als Brocki kein exponierter, sondern ein integrierter Teil von konkret der Geroldstrasse sind.

Danke für das Gespräch!
Danke auch.

Autor
Kulturmeile Zürich West

Publiziert am
19.9.2018