„Diese Vielfalt an Menschen, dieses Talentreservoir, das ist Heilsarmee!“

„Diese Vielfalt an Menschen, dieses Talentreservoir, das ist Heilsarmee!“

Am 28. März fand in Bern der Inklusionstag vom Sozialwerk der Heilsarmee statt. / Le 28 mars 2018 a eu lieu la journée de l'inclusion à Berne, organisée par l'Oeuvre Sociale de l'Armée du Salut Suisse.
Am 28. März fand in Bern der Inklusionstag vom Sozialwerk der Heilsarmee statt. / Le 28 mars 2018 a eu lieu la journée de l'inclusion à Berne, organisée par l'Oeuvre Sociale de l'Armée du Salut Suisse.
© Alexander Egger / Lizenzfrei

Gestern fand in den Räumlichkeiten der Heilsarmee Bern der Inklusionstag 2018 des Sozialwerks statt.

Der vom Sozialwerk der Heilsarmee Schweiz organisierte Inklusionstag wurde nicht nur auf Französisch gedolmetscht, sondern auch in die Gebärdensprache. Das Spezielle an diesem Tag war nämlich, dass zahlreiche Standortleitende in Begleitung eines Klienten oder einer Klientin angereist waren. Die Heilsarmee führt in der Deutsch- und französischen Schweiz insgesamt 19 Brocki-Filialen und 36 Institutionen für Obdachlose, Menschen mit sozialen und psychischen Problemen, Personen mit körperlichen Behinderungen, Kinder- und Altersheime sowie Asylunterkünfte. Entsprechend buntgemischt war das Publikum des Inklusionstags, der unter dem Motto stand: „Inklusion findet dort statt, wo sich Menschen auf Augenhöhe begegnen.“

"Für Gott ist jeder wertvoll"
Eine weitere Besonderheit des gestrigen Tages war die Anwesenheit des Leiters der Internationalen Heilsarmee, General André Cox, und seiner Frau, Kommissärin Silvia Cox. Der General, der viel auf Reisen ist und Einblick in die Kulturen vieler Länder hat, erkennt die ständig wachsende Gefahr der Isolation: „Obwohl wir uns in einem Kommunikationszeitalter befinden, gibt es immer mehr Menschen, die ohne Beziehungen leben“, sagt er in seiner Eröffnungsrede. „Wir aber sind hier, um zusammen zu sein.“ In der Gesellschaft trügen die Menschen häufig Etiketten und würden nach Hautfarbe, Einkommen, körperlicher oder psychischer Verfassung klassifiziert. Der Wert des Einzelnen gehe dabei aber immer mehr verloren. „Für Gott ist jeder von uns wertvoll. Er möchte uns alle in seinen Plan, in seine Familie miteinbeziehen.“ Inklusion sei der richtige Weg, so General André Cox.

Bevor es also daran geht, Inklusion praktisch zu erleben, ist Zeit für Musik. Clownin Speranzina stimmt das Mundartlied „Dert äne am Bergli“ an und beweist, dass Gänsehaut beim Publikum auch pianissimo zu erreichen ist. Ein zweiter derartiger Moment folgt, als die Diashow mit Bildern aus der Heilsarmee Wohn- und Werkstätten Buchseegut vom Song „We are the world“ (USA for Africa, 1985) untermalt wird.

Malen und werkeln
In den frühen Nachmittagsstunden verteilt sich Gross und Klein auf 16 Kreativworkshops – sogenannte Ateliers –  in sämtlichen Räumen der recht verzweigten Heilsarmee Bern. Konzentriert und lustvoll zugleich geht es beispielsweise im Atelier „Gesichter malen“ zu. Mit Bleistift, Pinsel, Schwämmchen und viel Farbe geben die Teilnehmenden ihrer Kreativität Ausdruck, in dem sie an Tischen oder Wänden allerlei Antlitze gestalten.

„Handwerklich – das fägt!“ Thomas Wirth, Filialleiter der Heilsarmee brocki.ch/Zürich, ist im Atelier „Einen Gegenstand aus Holz anfertigen“ ganz in seinem Element. Hier stellen die Leute Schachteln aus bunten Holzplatten sowie Vasen aus gespaltenem Restholz und Reagenzgläsern her. Mittendrin auch ein Team der Foyers & Ateliers Centre Espoir in Genf und ein weiteres aus der Heilsarmee brocki.ch/Nyon. Zwischen herzhaften Hammerschlägen lassen sich Gesprächsfetzen in zwei Landessprachen aufschnappen. Beim Verlassen des Workshops klopft einer dem anderen auf die Schulter: „T’as bien bossé!“ Du hast gut gearbeitet – ist das nicht ein schönes Kompliment? Und schon geht’s zum nächsten Atelier.

Wenige Zentimeter: für Ungeübte ein Hindernis
Beim Ballspiel genau zu zielen und die Distanz präzise einzuschätzen, ist wichtig – vor allem dann, wenn die zwei Spielenden im Rollstuhl sitzen. Im Atelier "Rollstuhlparcours" konnte, wer wollte, sich in einen Rollstuhl setzen und versuchen, einen Parcours über Planken und Brettern hinter sich zu bringen. Bodenunebenheiten, die Fussgänger im Alltag für gewöhnlich kaum zur Kenntnis nehmen, können für Rollstuhlfahrer richtiggehende Hürden sein. Schon eine Höhe von 2 oder 3 cm ist für Ungeübte nur im dritten oder vierten Anlauf zu überwinden. Im Rollstuhl zwischen Poller Slalom zu fahren, indem man jeweils am rechten oder am linken Rad dreht, auch das muss geübt sein. „Sehr interessant“, kommentierte der sichtlich beeindruckte Stefan Wolf, Institutionsleiter des Kinderhauses Holee in Basel.

Weitere Ateliers sind der Brailleschrift gewidmet. Vier Teilnehmer spielen mit verbundenen Augen Lotto. Sowohl auf den Kärtchen als auch auf den Spielfeldern sind die Punktmuster der 1825 von Louis Braille entwickelten Blindenschrift erkennbar. An einem weiteren Tisch steht eine sehr alte, Hermes-Baby-artige Schreibmaschine, auf der man in Brailleschrift tippen kann. Einige Leute spielen mit verbundenen Augen „Eile mit Weile“, wobei hier nicht nur der Tastsinn, sondern auch das Gedächtnis geschärft werden muss, will man sich die Position der eigenen Steine merken. Draussen im Innenhof schliesslich tappen einige Teilnehmer mit Binden vor den Augen umher und versuchen, sich mit Blindenstöcken im Raum zu orientieren. Mit von der Partie zwei Fachfrauen, begleitet von zwei als Blindenhunde gekennzeichneten Labradoren, die sehr lieb und geduldig dreinblicken.

Ein bunter Blumenstrauss
Plötzlich gebietet es die Nase, anzuhalten: An einem langen Tisch findet das Atelier „Fruchtsalat zubereiten“ statt, an einem anderen der Workshop „Blumensträusse gestalten“. Floristinnen vermitteln hier das Knowhow, wie man es anstellt, dass jede Blüte schön zur Geltung kommt und sich harmonisch in den Strauss einfügt – ein ästhetisch-motorisches Experiment! „Blumenbinden ist ganz einfach – bis man es selber macht“, gesteht Marcel Amacher, Filialleiter der Heilsarmee brocki.ch/Wila.

Ein bunter Blumenstrauss ist letztlich der ganze Anlass selbst. Nicht alle können aktiv teilnehmen. Eine Institutionsleiterin beispielsweise führt eine ältere Klientin einfach an der Hand spazieren, von Atelier zu Atelier, und zeigt ihr, was die Leute so alles machen. Inklusion hat manchmal auch Grenzen, und auch um diese auszuloten, war der Inklusionstag gedacht. Doch gilt es, bis an diese Grenzen zu gehen.

Nach den Ateliers versammelten sich alle alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer müde und glücklich im Plenumssaal für verschiedene kurze Schlusspräsentationen. So sprach Institutionsleiter Stefan Wolf über gelebte Inklusion im Kinderhaus Holee in Basel. Hier haben Kinder das Buch „Wo sind meine Turnschuhe?“ gestaltet. Dieses ermöglicht es neu eintretenden Kindern, sich schnell im Heim zurechtzufinden – selbst dann, wenn der Eintritt notfallmässig innert weniger Stunden erfolgt.

"Niemand ist aus Zufall hier"
General André Cox zeigte sich vom Inklusionstag beeindruckt. „Ein toller Tag“, lobte er, „es wurde nicht nur geredet, sondern auch gelebt.“ Er selbst habe dabei viele neue Leute kennengelernt  –  „keine Klienten, sondern Freunde und Familienmitglieder“. Der General ermutigte alle Anwesenden, weiterhin nach ihren eigenen Gaben und Talenten zu forschen. Damit könne jeder und jede einen Unterschied machen in dieser Welt: „Niemand ist aus Zufall hier.“

Zu guter Letzt zog Daniel Röthlisberger, Leiter Abteilung Sozialwerk, kurz Bilanz. Auf die Frage von Moderator Michel Sterckx, was denn sein Eindruck von diesem Tag sei, und was er sich inskünftig wünsche, sagte Röthlisberger: „Inklusion war erlebbar, fühlbar, sichtbar, hörbar und riechbar. Wir wollen Inklusion vertiefen, vom Kopf ins Herz – als eine Haltungsfrage, die reifen muss.“ Und fügte an: „Diese Vielfalt an Menschen, dieses Talentreservoir, das ist Heilsarmee!“

 

Autor
Livia Hofer

Publiziert am
29.3.2018