«Wir können nur gemeinsam weinen»
«Wir können nur gemeinsam weinen»
Ganz Adelboden und die Ev. Allianz, vertreten durch die Heilsarmee, trauern um sechs Mitmenschen, die in Schweden tödlich verunfallt sind.
Gestern Montagmittag auf der Dorfstrasse in Adelboden: Es schneit heftig, da und dort sind Leute beim Schneeschaufeln zu beobachten. Nichts weist darauf hin, dass das Lohnerdorf vor zwei Tagen fünf junge Mitbewohner verloren hat: Im Innern der Kirche ist es stockfinster, und davor liegen überall Schneehaufen. Neben der Kirche steht Gemeindepräsident Daniel von Allmen mit leerem Blick im Schneetreiben; auf dem Kopf trägt er einen schützenden Krempenhut.
Zur tödlichen Frontalkollision im nordschwedischen Masugnsbyn vom Samstagmorgen kann und mag sich von Allmen nicht äussern, denn: «In erster Linie sind wir jetzt als Mitmenschen für die Angehörigen da. Da gibt es nicht viel zu sagen; wir können nur einfach für sie da sein, sie in die Arme nehmen und mit ihnen zusammen weinen. Das sind jetzt Momente, wo jeder von uns sich mal wieder besinnen kann. Die Handbremse ziehen, in sich gehen und sein Leben überdenken.» Umso fassungsloser zeigt sich Gemeinderatspräsident Markus Gempeler über das aggressive Vorgehen von gewissen Medien, welche am Sonntag mit Kameras bewaffnet bei den direkt betroffenen Angehörigen der fünf verunfallten Männer und Nachbarn vorstellig wurden. «Dieser pietätlose Umgang ist doch sehr befremdend. Gewisse Journalisten haben sogar kleinen Kindern Fotos vor die Nase gehalten und wollten ihre Bestätigung, dass es sich dabei um einen der Verunglückten handele.»
Wertvolle Schweigeminute
Zu gehörten Vorwürfen, der Weltcupslalom vom Sonntag hätte aufgrund des tragischen Vorfalls abgesagt werden müssen, nimmt Gemeinderatspräsident Gempeler wie folgt Stellung: «Wir wurden am Samstagmittag über den Unfall orientiert, erhielten in Absprache mit der Kantonspolizei und dem Eidgenössischen Aussendepartement aber die klare Anweisung, vorläufig nichts zu kommunizieren. Am Sonntagvormittag wurde es dann über die Medien bekannt, worauf die Rennorganisatoren in Absprache mit uns und dem Internationalen Skiverband nach Beendigung des Rennens das Publikum orientierten, eine Schweigeminute abhielten und die weiteren Festivitäten in Festzelten frühzeitig einstellten.»
Heilsarmee-Offizierin Judith Dummermuth als Vertreterin der Evangelischen Allianz Adelboden: «Wir schätzen die Anteilnahme in Form der Schweigeminute im Anschluss an die Rennen enorm und auch, dass im Gedenken an den schweren Unfall auf eine Fortsetzung der Party verzichtet worden ist. Wir sind alle betroffen als Einwohner und stehen in einer Spannung zwischen unendlicher Trauer, Schock und der gleichzeitigen Gewissheit, dass das Leben weitergehen muss. Da müssen wir als geschlossene Gemeinschaft den weiteren Weg finden, was ein Balanceakt ist.»
Privatsphäre respektieren
Die Einwohnergemeinde bittet in ihrer Medienmitteilung, die betroffenen Familien nicht zu belangen und ihre Privatsphäre zu respektieren. Bei weiteren Erkenntnissen wird die Gemeinde informieren.
So steht der Zeitpunkt für eine allfällige Abdankungsfeier nicht fest. Seit gestern Nachmittag liegt im Eingangsbereich der Gemeindeverwaltung ein Kondolenzbuch auf, in das sich Personen während der Schalteröffnungszeiten eintragen können. Zudem richtete die Evangelische Allianz Adelboden im Kirchgemeindehaus Adelboden einen Raum der Stille und Trauer ein, der während 24 Stunden zugänglich ist.
Vereiste, in der Regel griffige Strassen
Masugnsbyn im hohen Norden Skandinaviens, 110 Kilometer nördlich des Polarkreises. Im Bereich von Masugnsbyn kollidierten am Samstag die sechs jungen Adelbodner und ein weiterer Mann aus dem Mittelland mit ihrem Minibus frontal mit einem Lastwagen.
Einer der Adelbodner und der LKW-Fahrer überlebten den Unfall, Letzterer blieb gar unverletzt. Sechs Insassen des Minivans fanden dabei den Tod. Das 60-Seelen-Dörfchen Masugnsbyn liegt mitten in Lappland an der Überlandstrasse 395, 80 Kilometer südöstlich der Eisenerzstadt Kiruna, welcher es politisch angehört. Eine Überlandstrasse, die täglich rege von mit Magnetit-Eisenerz schwer beladenen Lastwagen befahren wird. Eine Gegend, in welcher während der Wintermonate normalerweise Temperaturen unter dem zweistelligen Minusgradbereich herrschen und die Sonne im Dezember während mehrerer Wochen nicht über den Horizont steigt, was eine mehrstündige Dämmerung zur Folge hat.
Aufgrund der tiefen Temperaturen bildet sich Schneestaub, in Schweden «Snörök» genannt. Auf der Strasse löst dieser Schneestaub oftmals tückische Schneeverwirbelungen aus, die einem bei Überhol- oder Kreuzungsmanövern komplett die Sicht nehmen können. Solche Verwirbelungen sind auch mit Scheibenwischern oder Lampen kaum zu bekämpfen. Insbesondere entgegenkommende Laster wirbeln oft viel Schneestaub auf. Sturmwinde können zudem zeitweise und ohne Ankündigung plötzlich für regelrechte Schneevorhänge sorgen und hohe Schneeverwehungen verursachen.
Im Gegensatz zur verbreiteten Schwarzräumung in unseren Breitengraden wird im hohen Norden die Weissräumung angewendet. Dabei wird der Neuschnee zur Seite geschoben und der verbleibende Schnee auf der Fahrbahn festgefahren, sodass sich eine Decke bildet. Meist bildet sich durch den Verkehr und die Spikesreifen eine raue Eisoberfläche, die weniger rutschig ist, als sie auf den ersten Blick den Anschein macht. Es ist nicht unüblich, dass der Verkehr auf der Schnee- und Eisdecke seinen gewohnten Lauf mit den üblichen Fahrgeschwindigkeiten nimmt. Einheimische Autofahrer empfinden das Fahren auf den bedeckten Strassen als angenehmer als auf Schneematsch, der sich in der wärmeren Frühlingszeit bildet.
Kondolenzbotschaft der Heilsarmee Brass of Praise
Berichterstattung im Blick
Berichterstattung im Bund
Autor
Quelle: Berner Zeitung (15.01.2019)
Publiziert am
15.1.2019